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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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und konnte es nur begreifen, wenn er bedachte, daß das
unschuldige Wesen weder die Bedeutung noch den Werth
dessen kannte, was es forderte. Als aber das Mädchen
traurig das Haupt senkte und die Hand auf's Herz legte
und noch mit anderen Zeichen verrieth, daß sie große
Hoffnungen auf die Erfüllung ihres Wunsches gesetzt
hatte, legte er diese Zeichen zu seinen Gunsten aus und
änderte seine Gedanken. Im Grunde, dachte er, ist es
nur in der Ordnung, wenn ich diese Erinnerungen Der¬
jenigen zu Füßen lege, welcher ich mich für das Leben
verbinden will! Noch mehr, es ist ja ein schönes Symbol,
wenn ich diese Siegesspolien aus einer überlebten und
überfeinerten Welt sozusagen der noch jungen Natur in
Person aufopfere, die uns eine neue Welt gebären soll!
Und am Ende bringt das gute Kind mir den kleinen
Schatz, der so lange auf meiner Weste gebaumelt hat,
getreulich wieder zu, und es wird sich gar witzig aus¬
nehmen, wenn die Tochter des Urwaldes einst die Kleinode,
bald dieses, bald jenes, vor den Augen unserer Damen
an sich schimmern läßt!

Mit raschem Entschlusse löste er den Ring, der das
Gehängsel zusammenhielt, von der Uhr und übergab es
ihr in seiner ganzen Pracht und Kostbarkeit. Mit einer
kindlichen Freude, welche die zarte Rothhaut des Urwaldes
womöglich noch röther machte, empfing die Libelle, die
Wasserjungfer, den Schatz und überhäufte den Geber mit
Zeichen der lieblichsten Dankbarkeit; dann lief sie eilig

und konnte es nur begreifen, wenn er bedachte, daß das
unſchuldige Weſen weder die Bedeutung noch den Werth
deſſen kannte, was es forderte. Als aber das Mädchen
traurig das Haupt ſenkte und die Hand auf's Herz legte
und noch mit anderen Zeichen verrieth, daß ſie große
Hoffnungen auf die Erfüllung ihres Wunſches geſetzt
hatte, legte er dieſe Zeichen zu ſeinen Gunſten aus und
änderte ſeine Gedanken. Im Grunde, dachte er, iſt es
nur in der Ordnung, wenn ich dieſe Erinnerungen Der¬
jenigen zu Füßen lege, welcher ich mich für das Leben
verbinden will! Noch mehr, es iſt ja ein ſchönes Symbol,
wenn ich dieſe Siegesſpolien aus einer überlebten und
überfeinerten Welt ſozuſagen der noch jungen Natur in
Perſon aufopfere, die uns eine neue Welt gebären ſoll!
Und am Ende bringt das gute Kind mir den kleinen
Schatz, der ſo lange auf meiner Weſte gebaumelt hat,
getreulich wieder zu, und es wird ſich gar witzig aus¬
nehmen, wenn die Tochter des Urwaldes einſt die Kleinode,
bald dieſes, bald jenes, vor den Augen unſerer Damen
an ſich ſchimmern läßt!

Mit raſchem Entſchluſſe löſte er den Ring, der das
Gehängſel zuſammenhielt, von der Uhr und übergab es
ihr in ſeiner ganzen Pracht und Koſtbarkeit. Mit einer
kindlichen Freude, welche die zarte Rothhaut des Urwaldes
womöglich noch röther machte, empfing die Libelle, die
Waſſerjungfer, den Schatz und überhäufte den Geber mit
Zeichen der lieblichſten Dankbarkeit; dann lief ſie eilig

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[362/0372] und konnte es nur begreifen, wenn er bedachte, daß das unſchuldige Weſen weder die Bedeutung noch den Werth deſſen kannte, was es forderte. Als aber das Mädchen traurig das Haupt ſenkte und die Hand auf's Herz legte und noch mit anderen Zeichen verrieth, daß ſie große Hoffnungen auf die Erfüllung ihres Wunſches geſetzt hatte, legte er dieſe Zeichen zu ſeinen Gunſten aus und änderte ſeine Gedanken. Im Grunde, dachte er, iſt es nur in der Ordnung, wenn ich dieſe Erinnerungen Der¬ jenigen zu Füßen lege, welcher ich mich für das Leben verbinden will! Noch mehr, es iſt ja ein ſchönes Symbol, wenn ich dieſe Siegesſpolien aus einer überlebten und überfeinerten Welt ſozuſagen der noch jungen Natur in Perſon aufopfere, die uns eine neue Welt gebären ſoll! Und am Ende bringt das gute Kind mir den kleinen Schatz, der ſo lange auf meiner Weſte gebaumelt hat, getreulich wieder zu, und es wird ſich gar witzig aus¬ nehmen, wenn die Tochter des Urwaldes einſt die Kleinode, bald dieſes, bald jenes, vor den Augen unſerer Damen an ſich ſchimmern läßt! Mit raſchem Entſchluſſe löſte er den Ring, der das Gehängſel zuſammenhielt, von der Uhr und übergab es ihr in ſeiner ganzen Pracht und Koſtbarkeit. Mit einer kindlichen Freude, welche die zarte Rothhaut des Urwaldes womöglich noch röther machte, empfing die Libelle, die Waſſerjungfer, den Schatz und überhäufte den Geber mit Zeichen der lieblichſten Dankbarkeit; dann lief ſie eilig

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/372>, abgerufen am 22.11.2024.