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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Franzosen noch allerlei Verkäufliches an den Mann zu
bringen wünschten, wie Früchte, wilde Putzsachen, Muscheln,
gesticktes Leder und dergl. So entstand rasch noch eine
lebendige Marktscene und die Franzosen benutzten billiger
Weise den Anlaß, mit den Frauen zu sponsieren, wie
es von je ihre Art gewesen ist. Thibaut aber wußte
seine Quoneschi oder Wasserjungfer, die ein Körbchen voll
Erdbeeren zu verkaufen hatte, in sein Hauptmannszelt zu
locken und nahm sie dort schärfer in's Gebet als bisher;
denn es war keine Zeit mehr zu verlieren. Er suchte
ihr mit feuriger Ungeduld deutlich zu machen, daß er sie
mit nach Europa nehmen und mit ihren Eltern um sie
handeln wolle, in ehrbarem Ernste und zu ihrem Heil und
Glücke. Daß sie ihn ganz verstand, ist zu bezweifeln;
dagegen ist sicher, daß sie sich deutlicher auszudrücken
wußte. Indem sie mit der kleinen röthlichen Hand sein
Kinn und beide Hände streichelte, deutete sie auf die
Berlocken an seiner Uhr, die sie zu haben wünschte, nach¬
dem sie offenbar schon lange ihren Geist beschäftigt hatten.
Dazu sagte sie immer auf Englisch: Morgen! Morgen!
und drückte mit holdselig naiven Geberden aus, daß etwas
Wunscherfüllendes vorgehen würde, wo gewiß alle Welt
zufrieden gestellt werde.

Unser guter Thibaut erschrak über die Deutlichkeit des
Verlangens nach den Berlocken und besann sich ein
Weilchen mit melancholischem Gesichte; er war ganz
überrascht von der ungeheuerlichen Keckheit des Begehrens

Franzoſen noch allerlei Verkäufliches an den Mann zu
bringen wünſchten, wie Früchte, wilde Putzſachen, Muſcheln,
geſticktes Leder und dergl. So entſtand raſch noch eine
lebendige Marktſcene und die Franzoſen benutzten billiger
Weiſe den Anlaß, mit den Frauen zu ſponſieren, wie
es von je ihre Art geweſen iſt. Thibaut aber wußte
ſeine Quoneſchi oder Waſſerjungfer, die ein Körbchen voll
Erdbeeren zu verkaufen hatte, in ſein Hauptmannszelt zu
locken und nahm ſie dort ſchärfer in's Gebet als bisher;
denn es war keine Zeit mehr zu verlieren. Er ſuchte
ihr mit feuriger Ungeduld deutlich zu machen, daß er ſie
mit nach Europa nehmen und mit ihren Eltern um ſie
handeln wolle, in ehrbarem Ernſte und zu ihrem Heil und
Glücke. Daß ſie ihn ganz verſtand, iſt zu bezweifeln;
dagegen iſt ſicher, daß ſie ſich deutlicher auszudrücken
wußte. Indem ſie mit der kleinen röthlichen Hand ſein
Kinn und beide Hände ſtreichelte, deutete ſie auf die
Berlocken an ſeiner Uhr, die ſie zu haben wünſchte, nach¬
dem ſie offenbar ſchon lange ihren Geiſt beſchäftigt hatten.
Dazu ſagte ſie immer auf Engliſch: Morgen! Morgen!
und drückte mit holdſelig naiven Geberden aus, daß etwas
Wunſcherfüllendes vorgehen würde, wo gewiß alle Welt
zufrieden geſtellt werde.

Unſer guter Thibaut erſchrak über die Deutlichkeit des
Verlangens nach den Berlocken und beſann ſich ein
Weilchen mit melancholiſchem Geſichte; er war ganz
überraſcht von der ungeheuerlichen Keckheit des Begehrens

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[361/0371] Franzoſen noch allerlei Verkäufliches an den Mann zu bringen wünſchten, wie Früchte, wilde Putzſachen, Muſcheln, geſticktes Leder und dergl. So entſtand raſch noch eine lebendige Marktſcene und die Franzoſen benutzten billiger Weiſe den Anlaß, mit den Frauen zu ſponſieren, wie es von je ihre Art geweſen iſt. Thibaut aber wußte ſeine Quoneſchi oder Waſſerjungfer, die ein Körbchen voll Erdbeeren zu verkaufen hatte, in ſein Hauptmannszelt zu locken und nahm ſie dort ſchärfer in's Gebet als bisher; denn es war keine Zeit mehr zu verlieren. Er ſuchte ihr mit feuriger Ungeduld deutlich zu machen, daß er ſie mit nach Europa nehmen und mit ihren Eltern um ſie handeln wolle, in ehrbarem Ernſte und zu ihrem Heil und Glücke. Daß ſie ihn ganz verſtand, iſt zu bezweifeln; dagegen iſt ſicher, daß ſie ſich deutlicher auszudrücken wußte. Indem ſie mit der kleinen röthlichen Hand ſein Kinn und beide Hände ſtreichelte, deutete ſie auf die Berlocken an ſeiner Uhr, die ſie zu haben wünſchte, nach¬ dem ſie offenbar ſchon lange ihren Geiſt beſchäftigt hatten. Dazu ſagte ſie immer auf Engliſch: Morgen! Morgen! und drückte mit holdſelig naiven Geberden aus, daß etwas Wunſcherfüllendes vorgehen würde, wo gewiß alle Welt zufrieden geſtellt werde. Unſer guter Thibaut erſchrak über die Deutlichkeit des Verlangens nach den Berlocken und beſann ſich ein Weilchen mit melancholiſchem Geſichte; er war ganz überraſcht von der ungeheuerlichen Keckheit des Begehrens

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/371>, abgerufen am 22.11.2024.