Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

den Zutritt im Hause erhielt und mit eitler Freude
empfangen wurde, wenn er mit einem Blumensträußchen
oder einem billigen Fächer von gefärbtem Papier erschien,
worauf ein paar Gräser und eine Nelke gedruckt waren.
Ein ehrbarer Kaufmannssohn, dessen Vater mit dem ver¬
storbenen Notar befreundet gewesen, zog sich vor dem
Herrn von Vallormes zurück, an welchen die kleine Denise
zuerst ihr natürliches und dann ihr kleines Krystallherz
verlor. Sobald er aber dieses mit ihrer zärtlichen Ein¬
willigung abgelöst und an seiner Uhr befestigt hatte,
verließ er sie und kehrte nie mehr zurück. Ungeachtet sie
sehr wohlhabend war, kostete es der Mutter manche sauere
Mühe, den jungen Kaufmann mit der Zeit wieder herbei
zu schaffen, der dann aus dem erst so blühenden Denischen
ein gedrücktes Hausfrauchen, so ein bescheidenes auf¬
gewärmtes Sauerkräutchen machte.

Es dauerte jetzt einige Zeit, bis Thibaut wieder auf
eine Spur gerieth, die er jedoch abermals verlor, wie es
auch dem geschicktesten Jäger geschehen kann, und als er
eines Sonntag Nachmittags nichts anzufangen wußte,
nachdem er seine Berlocken genugsam besehen hatte, fiel
es ihm ein, endlich einmal seine jüngste Tante Angelika
zu besuchen, die noch nicht ganz fünfzig Jahre alt sein
mochte und eine empfindsame alte Jungfer war. Da sie
gerade am offenen Schreibtische saß, machte sich Thibaut
hinter die ihm bekannten Lädchen und Schatullen, um
darin zu schnüffeln, wie ehemals. Er stieß auf ein

Keller, Sinngedicht. 23

den Zutritt im Hauſe erhielt und mit eitler Freude
empfangen wurde, wenn er mit einem Blumenſträußchen
oder einem billigen Fächer von gefärbtem Papier erſchien,
worauf ein paar Gräſer und eine Nelke gedruckt waren.
Ein ehrbarer Kaufmannsſohn, deſſen Vater mit dem ver¬
ſtorbenen Notar befreundet geweſen, zog ſich vor dem
Herrn von Vallormes zurück, an welchen die kleine Deniſe
zuerſt ihr natürliches und dann ihr kleines Kryſtallherz
verlor. Sobald er aber dieſes mit ihrer zärtlichen Ein¬
willigung abgelöſt und an ſeiner Uhr befeſtigt hatte,
verließ er ſie und kehrte nie mehr zurück. Ungeachtet ſie
ſehr wohlhabend war, koſtete es der Mutter manche ſauere
Mühe, den jungen Kaufmann mit der Zeit wieder herbei
zu ſchaffen, der dann aus dem erſt ſo blühenden Denischen
ein gedrücktes Hausfrauchen, ſo ein beſcheidenes auf¬
gewärmtes Sauerkräutchen machte.

Es dauerte jetzt einige Zeit, bis Thibaut wieder auf
eine Spur gerieth, die er jedoch abermals verlor, wie es
auch dem geſchickteſten Jäger geſchehen kann, und als er
eines Sonntag Nachmittags nichts anzufangen wußte,
nachdem er ſeine Berlocken genugſam beſehen hatte, fiel
es ihm ein, endlich einmal ſeine jüngſte Tante Angelika
zu beſuchen, die noch nicht ganz fünfzig Jahre alt ſein
mochte und eine empfindſame alte Jungfer war. Da ſie
gerade am offenen Schreibtiſche ſaß, machte ſich Thibaut
hinter die ihm bekannten Lädchen und Schatullen, um
darin zu ſchnüffeln, wie ehemals. Er ſtieß auf ein

Keller, Sinngedicht. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0363" n="353"/>
den Zutritt im Hau&#x017F;e erhielt und mit eitler Freude<lb/>
empfangen wurde, wenn er mit einem Blumen&#x017F;träußchen<lb/>
oder einem billigen Fächer von gefärbtem Papier er&#x017F;chien,<lb/>
worauf ein paar Grä&#x017F;er und eine Nelke gedruckt waren.<lb/>
Ein ehrbarer Kaufmanns&#x017F;ohn, de&#x017F;&#x017F;en Vater mit dem ver¬<lb/>
&#x017F;torbenen Notar befreundet gewe&#x017F;en, zog &#x017F;ich vor dem<lb/>
Herrn von Vallormes zurück, an welchen die kleine Deni&#x017F;e<lb/>
zuer&#x017F;t ihr natürliches und dann ihr kleines Kry&#x017F;tallherz<lb/>
verlor. Sobald er aber die&#x017F;es mit ihrer zärtlichen Ein¬<lb/>
willigung abgelö&#x017F;t und an &#x017F;einer Uhr befe&#x017F;tigt hatte,<lb/>
verließ er &#x017F;ie und kehrte nie mehr zurück. Ungeachtet &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ehr wohlhabend war, ko&#x017F;tete es der Mutter manche &#x017F;auere<lb/>
Mühe, den jungen Kaufmann mit der Zeit wieder herbei<lb/>
zu &#x017F;chaffen, der dann aus dem er&#x017F;t &#x017F;o blühenden Denischen<lb/>
ein gedrücktes Hausfrauchen, &#x017F;o ein be&#x017F;cheidenes auf¬<lb/>
gewärmtes Sauerkräutchen machte.</p><lb/>
          <p>Es dauerte jetzt einige Zeit, bis Thibaut wieder auf<lb/>
eine Spur gerieth, die er jedoch abermals verlor, wie es<lb/>
auch dem ge&#x017F;chickte&#x017F;ten Jäger ge&#x017F;chehen kann, und als er<lb/>
eines Sonntag Nachmittags nichts anzufangen wußte,<lb/>
nachdem er &#x017F;eine Berlocken genug&#x017F;am be&#x017F;ehen hatte, fiel<lb/>
es ihm ein, endlich einmal &#x017F;eine jüng&#x017F;te Tante Angelika<lb/>
zu be&#x017F;uchen, die noch nicht ganz fünfzig Jahre alt &#x017F;ein<lb/>
mochte und eine empfind&#x017F;ame alte Jungfer war. Da &#x017F;ie<lb/>
gerade am offenen Schreibti&#x017F;che &#x017F;aß, machte &#x017F;ich Thibaut<lb/>
hinter die ihm bekannten Lädchen und Schatullen, um<lb/>
darin zu &#x017F;chnüffeln, wie ehemals. Er &#x017F;tieß auf ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Keller</hi>, Sinngedicht. 23<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0363] den Zutritt im Hauſe erhielt und mit eitler Freude empfangen wurde, wenn er mit einem Blumenſträußchen oder einem billigen Fächer von gefärbtem Papier erſchien, worauf ein paar Gräſer und eine Nelke gedruckt waren. Ein ehrbarer Kaufmannsſohn, deſſen Vater mit dem ver¬ ſtorbenen Notar befreundet geweſen, zog ſich vor dem Herrn von Vallormes zurück, an welchen die kleine Deniſe zuerſt ihr natürliches und dann ihr kleines Kryſtallherz verlor. Sobald er aber dieſes mit ihrer zärtlichen Ein¬ willigung abgelöſt und an ſeiner Uhr befeſtigt hatte, verließ er ſie und kehrte nie mehr zurück. Ungeachtet ſie ſehr wohlhabend war, koſtete es der Mutter manche ſauere Mühe, den jungen Kaufmann mit der Zeit wieder herbei zu ſchaffen, der dann aus dem erſt ſo blühenden Denischen ein gedrücktes Hausfrauchen, ſo ein beſcheidenes auf¬ gewärmtes Sauerkräutchen machte. Es dauerte jetzt einige Zeit, bis Thibaut wieder auf eine Spur gerieth, die er jedoch abermals verlor, wie es auch dem geſchickteſten Jäger geſchehen kann, und als er eines Sonntag Nachmittags nichts anzufangen wußte, nachdem er ſeine Berlocken genugſam beſehen hatte, fiel es ihm ein, endlich einmal ſeine jüngſte Tante Angelika zu beſuchen, die noch nicht ganz fünfzig Jahre alt ſein mochte und eine empfindſame alte Jungfer war. Da ſie gerade am offenen Schreibtiſche ſaß, machte ſich Thibaut hinter die ihm bekannten Lädchen und Schatullen, um darin zu ſchnüffeln, wie ehemals. Er ſtieß auf ein Keller, Sinngedicht. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/363
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/363>, abgerufen am 22.11.2024.