nächsten schweren Stuhl von Eichenholz, schwang ihn über dem Recken und schlug nicht nur seine Waffe nieder, sondern auch die rechte Schulter so gründlich entzwei, daß er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Mensch von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zim¬ mer, und ihm folgte die übrige Compagnie, so wie sie sich allmählig aus den Scherben aufraffte. Sie wischten wie chinesische Schatten hinaus; hinter seinem Rücken machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die Herrin, die es mit fast unmerklichem Kopfnicken er¬ widerte. Nur der Page war noch im Zimmer und steckte die Nase hinter der Frau hervor. Correa that einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf ihn wie einen jungen Hasen den Uebrigen nach vor die die Thüre, welche er hierauf verriegelte.
Dann stellte er sich, auf die gezogene Degenklinge gestützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und ausgestreckten Händen da stand, und sagte, nachdem er sie eine Weile ernstlich betrachtet:
"Was bist Du für ein Weib?"
"Was bist Du für ein Mann?" fragte sie entgegen mit furchtsamer Stimme und immerfort zitternd.
"Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur von Rio bin ich! Wirst Du mir nun gehorchen?"
Durch diese offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib in ihren Augen moralisch wieder das Oberwasser. Denn
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nächſten ſchweren Stuhl von Eichenholz, ſchwang ihn über dem Recken und ſchlug nicht nur ſeine Waffe nieder, ſondern auch die rechte Schulter ſo gründlich entzwei, daß er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Menſch von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zim¬ mer, und ihm folgte die übrige Compagnie, ſo wie ſie ſich allmählig aus den Scherben aufraffte. Sie wiſchten wie chineſiſche Schatten hinaus; hinter ſeinem Rücken machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die Herrin, die es mit faſt unmerklichem Kopfnicken er¬ widerte. Nur der Page war noch im Zimmer und ſteckte die Naſe hinter der Frau hervor. Correa that einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf ihn wie einen jungen Haſen den Uebrigen nach vor die die Thüre, welche er hierauf verriegelte.
Dann ſtellte er ſich, auf die gezogene Degenklinge geſtützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und ausgeſtreckten Händen da ſtand, und ſagte, nachdem er ſie eine Weile ernſtlich betrachtet:
„Was biſt Du für ein Weib?“
„Was biſt Du für ein Mann?“ fragte ſie entgegen mit furchtſamer Stimme und immerfort zitternd.
„Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur von Rio bin ich! Wirſt Du mir nun gehorchen?“
Durch dieſe offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib in ihren Augen moraliſch wieder das Oberwaſſer. Denn
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nächſten ſchweren Stuhl von Eichenholz, ſchwang ihn über
dem Recken und ſchlug nicht nur ſeine Waffe nieder,
ſondern auch die rechte Schulter ſo gründlich entzwei, daß
er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb
ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Menſch
von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zim¬
mer, und ihm folgte die übrige Compagnie, ſo wie ſie
ſich allmählig aus den Scherben aufraffte. Sie wiſchten
wie chineſiſche Schatten hinaus; hinter ſeinem Rücken
machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die
Herrin, die es mit faſt unmerklichem Kopfnicken er¬
widerte. Nur der Page war noch im Zimmer und
ſteckte die Naſe hinter der Frau hervor. Correa that
einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf
ihn wie einen jungen Haſen den Uebrigen nach vor die
die Thüre, welche er hierauf verriegelte.
Dann ſtellte er ſich, auf die gezogene Degenklinge
geſtützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und
ausgeſtreckten Händen da ſtand, und ſagte, nachdem er ſie
eine Weile ernſtlich betrachtet:
„Was biſt Du für ein Weib?“
„Was biſt Du für ein Mann?“ fragte ſie entgegen
mit furchtſamer Stimme und immerfort zitternd.
„Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur
von Rio bin ich! Wirſt Du mir nun gehorchen?“
Durch dieſe offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib
in ihren Augen moraliſch wieder das Oberwaſſer. Denn
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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