Mal, wenn die Dame sich regte, das dunkelrothe Licht eines Rubins auf; die Brust selbst zeugte von einem normalen und gesunden Körperbau, desgleichen die in den Händen und Füßen ersichtliche Ebenmäßigkeit.
Diese Dame saß auf einem Lehnsessel in der vordersten Reihe; rechts und links von ihr hockten auf dreibeinigen Stühlchen ein Stallmeister und ein Geistlicher, hinter dem Sessel stand ein Page, und ganz zuletzt hockte noch eine Kammerfrau auf einem Schemel. Alle diese Personen verhielten sich so still und steif wie Steinbilder und wagten kein Wort, weder unter sich noch mit der Herrin zu sprechen, wenn diese nicht einen leisen Wink gab. Merkwürdig schien besonders der Stallmeister, welcher, den hohen Spitzhut auf den Knieen haltend, mit furcht¬ barem Ernste dasaß. So fadenscheinig sein ergrauter und umfangreicher Schädel war, reichten doch die lang¬ gezogenen Silberfäden hin, nicht nur auf der Mitte der Stirne eine fest in sich zusammengerollte Seeschnecke zu bilden, die von keinem Sturme aufgelöst wurde, sondern auch noch beide bartlose Wangen mit zwei sauber ge¬ kämmten Backenbärtchen zu bekleiden, welche allnächtlich sorgsam gewickelt und hinter die Ohren gelegt wurden. Dafür war das aufwärts gehörnte Schnurrbärtchen von echtem, steif gewichstem Bartwuchse. Der Anblick konnte für närrisch gelten; doch Don Correa wußte schon aus Erfahrung, daß dergleichen komische Pedantismen an untergebenen Beamten und Dienern meist auf Ordnungs¬
Mal, wenn die Dame ſich regte, das dunkelrothe Licht eines Rubins auf; die Bruſt ſelbſt zeugte von einem normalen und geſunden Körperbau, desgleichen die in den Händen und Füßen erſichtliche Ebenmäßigkeit.
Dieſe Dame ſaß auf einem Lehnſeſſel in der vorderſten Reihe; rechts und links von ihr hockten auf dreibeinigen Stühlchen ein Stallmeiſter und ein Geiſtlicher, hinter dem Seſſel ſtand ein Page, und ganz zuletzt hockte noch eine Kammerfrau auf einem Schemel. Alle dieſe Perſonen verhielten ſich ſo ſtill und ſteif wie Steinbilder und wagten kein Wort, weder unter ſich noch mit der Herrin zu ſprechen, wenn dieſe nicht einen leiſen Wink gab. Merkwürdig ſchien beſonders der Stallmeiſter, welcher, den hohen Spitzhut auf den Knieen haltend, mit furcht¬ barem Ernſte daſaß. So fadenſcheinig ſein ergrauter und umfangreicher Schädel war, reichten doch die lang¬ gezogenen Silberfäden hin, nicht nur auf der Mitte der Stirne eine feſt in ſich zuſammengerollte Seeſchnecke zu bilden, die von keinem Sturme aufgelöſt wurde, ſondern auch noch beide bartloſe Wangen mit zwei ſauber ge¬ kämmten Backenbärtchen zu bekleiden, welche allnächtlich ſorgſam gewickelt und hinter die Ohren gelegt wurden. Dafür war das aufwärts gehörnte Schnurrbärtchen von echtem, ſteif gewichstem Bartwuchſe. Der Anblick konnte für närriſch gelten; doch Don Correa wußte ſchon aus Erfahrung, daß dergleichen komiſche Pedantismen an untergebenen Beamten und Dienern meiſt auf Ordnungs¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0279"n="269"/>
Mal, wenn die Dame ſich regte, das dunkelrothe Licht<lb/>
eines Rubins auf; die Bruſt ſelbſt zeugte von einem<lb/>
normalen und geſunden Körperbau, desgleichen die in den<lb/>
Händen und Füßen erſichtliche Ebenmäßigkeit.</p><lb/><p>Dieſe Dame ſaß auf einem Lehnſeſſel in der vorderſten<lb/>
Reihe; rechts und links von ihr hockten auf dreibeinigen<lb/>
Stühlchen ein Stallmeiſter und ein Geiſtlicher, hinter<lb/>
dem Seſſel ſtand ein Page, und ganz zuletzt hockte noch<lb/>
eine Kammerfrau auf einem Schemel. Alle dieſe Perſonen<lb/>
verhielten ſich ſo ſtill und ſteif wie Steinbilder und<lb/>
wagten kein Wort, weder unter ſich noch mit der Herrin<lb/>
zu ſprechen, wenn dieſe nicht einen leiſen Wink gab.<lb/>
Merkwürdig ſchien beſonders der Stallmeiſter, welcher,<lb/>
den hohen Spitzhut auf den Knieen haltend, mit furcht¬<lb/>
barem Ernſte daſaß. So fadenſcheinig ſein ergrauter<lb/>
und umfangreicher Schädel war, reichten doch die lang¬<lb/>
gezogenen Silberfäden hin, nicht nur auf der Mitte der<lb/>
Stirne eine feſt in ſich zuſammengerollte Seeſchnecke zu<lb/>
bilden, die von keinem Sturme aufgelöſt wurde, ſondern<lb/>
auch noch beide bartloſe Wangen mit zwei ſauber ge¬<lb/>
kämmten Backenbärtchen zu bekleiden, welche allnächtlich<lb/>ſorgſam gewickelt und hinter die Ohren gelegt wurden.<lb/>
Dafür war das aufwärts gehörnte Schnurrbärtchen von<lb/>
echtem, ſteif gewichstem Bartwuchſe. Der Anblick konnte<lb/>
für närriſch gelten; doch Don Correa wußte ſchon aus<lb/>
Erfahrung, daß dergleichen komiſche Pedantismen an<lb/>
untergebenen Beamten und Dienern meiſt auf Ordnungs¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[269/0279]
Mal, wenn die Dame ſich regte, das dunkelrothe Licht
eines Rubins auf; die Bruſt ſelbſt zeugte von einem
normalen und geſunden Körperbau, desgleichen die in den
Händen und Füßen erſichtliche Ebenmäßigkeit.
Dieſe Dame ſaß auf einem Lehnſeſſel in der vorderſten
Reihe; rechts und links von ihr hockten auf dreibeinigen
Stühlchen ein Stallmeiſter und ein Geiſtlicher, hinter
dem Seſſel ſtand ein Page, und ganz zuletzt hockte noch
eine Kammerfrau auf einem Schemel. Alle dieſe Perſonen
verhielten ſich ſo ſtill und ſteif wie Steinbilder und
wagten kein Wort, weder unter ſich noch mit der Herrin
zu ſprechen, wenn dieſe nicht einen leiſen Wink gab.
Merkwürdig ſchien beſonders der Stallmeiſter, welcher,
den hohen Spitzhut auf den Knieen haltend, mit furcht¬
barem Ernſte daſaß. So fadenſcheinig ſein ergrauter
und umfangreicher Schädel war, reichten doch die lang¬
gezogenen Silberfäden hin, nicht nur auf der Mitte der
Stirne eine feſt in ſich zuſammengerollte Seeſchnecke zu
bilden, die von keinem Sturme aufgelöſt wurde, ſondern
auch noch beide bartloſe Wangen mit zwei ſauber ge¬
kämmten Backenbärtchen zu bekleiden, welche allnächtlich
ſorgſam gewickelt und hinter die Ohren gelegt wurden.
Dafür war das aufwärts gehörnte Schnurrbärtchen von
echtem, ſteif gewichstem Bartwuchſe. Der Anblick konnte
für närriſch gelten; doch Don Correa wußte ſchon aus
Erfahrung, daß dergleichen komiſche Pedantismen an
untergebenen Beamten und Dienern meiſt auf Ordnungs¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/279>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.