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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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blieb, als das Gesicht eines Ideals von Esel dazu zu
schneiden und fromme Miene zum bösen Spiel zu machen.

Zum Ueberflusse mußte auch noch das Traurigste,
was es gibt, der Zufall, sein Siegel darauf drücken. Um
ganz unparteiisch zu verfahren, hatte das gute Mädchen
vorher im Stillen das Loos gezogen, welchen von den
zwei Liebhabern sie zuerst der Prüfung unterwerfen solle;
denn, sagte sie, mancher zufällige Umstand konnte auf
das Ergebniß von Einfluß sein, die Verschiedenheit des
Wetters, der Mondhelle, des körperlichen Befindens und
der Gemüthsstimmung konnte eine veränderte Urtheilskraft
bedingen, wie ich denn auch geschehenermaßen am Tage
vor meiner Prüfungsnacht mehr Getränke zu mir ge¬
nommen, als der Andere zu seiner Stunde wegen Mangel
an Gesellschaft habe thun können, da ich ja fortgewesen
sei! Also genau wie beim Pferderennen, wo bis auf's
Kleinste Alles verglichen und abgewogen wird!

Daß durch den Sieg meines Nebenbuhlers trotz des
technisch untadelhaften Verfahrens ihren geheimsten Wün¬
schen besser entsprochen worden sei, als wenn ich gesiegt
hätte, daran durfte ich schon damals nicht zweifeln. Denn
sie schien von Stund an von jeder Last befreit und un¬
getheilten leichten Herzens zu leben, welches hat, was es
wünscht.

"Das ist die Geschichte von Hildeburg's Männerwahl,
bei der ich unterlegen bin", schloß der Oberst, und rasch
gegen Reinhart gewendet sagte er:

blieb, als das Geſicht eines Ideals von Eſel dazu zu
ſchneiden und fromme Miene zum böſen Spiel zu machen.

Zum Ueberfluſſe mußte auch noch das Traurigſte,
was es gibt, der Zufall, ſein Siegel darauf drücken. Um
ganz unparteiiſch zu verfahren, hatte das gute Mädchen
vorher im Stillen das Loos gezogen, welchen von den
zwei Liebhabern ſie zuerſt der Prüfung unterwerfen ſolle;
denn, ſagte ſie, mancher zufällige Umſtand konnte auf
das Ergebniß von Einfluß ſein, die Verſchiedenheit des
Wetters, der Mondhelle, des körperlichen Befindens und
der Gemüthsſtimmung konnte eine veränderte Urtheilskraft
bedingen, wie ich denn auch geſchehenermaßen am Tage
vor meiner Prüfungsnacht mehr Getränke zu mir ge¬
nommen, als der Andere zu ſeiner Stunde wegen Mangel
an Geſellſchaft habe thun können, da ich ja fortgeweſen
ſei! Alſo genau wie beim Pferderennen, wo bis auf's
Kleinſte Alles verglichen und abgewogen wird!

Daß durch den Sieg meines Nebenbuhlers trotz des
techniſch untadelhaften Verfahrens ihren geheimſten Wün¬
ſchen beſſer entſprochen worden ſei, als wenn ich geſiegt
hätte, daran durfte ich ſchon damals nicht zweifeln. Denn
ſie ſchien von Stund an von jeder Laſt befreit und un¬
getheilten leichten Herzens zu leben, welches hat, was es
wünſcht.

„Das iſt die Geſchichte von Hildeburg's Männerwahl,
bei der ich unterlegen bin“, ſchloß der Oberſt, und raſch
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[256/0266] blieb, als das Geſicht eines Ideals von Eſel dazu zu ſchneiden und fromme Miene zum böſen Spiel zu machen. Zum Ueberfluſſe mußte auch noch das Traurigſte, was es gibt, der Zufall, ſein Siegel darauf drücken. Um ganz unparteiiſch zu verfahren, hatte das gute Mädchen vorher im Stillen das Loos gezogen, welchen von den zwei Liebhabern ſie zuerſt der Prüfung unterwerfen ſolle; denn, ſagte ſie, mancher zufällige Umſtand konnte auf das Ergebniß von Einfluß ſein, die Verſchiedenheit des Wetters, der Mondhelle, des körperlichen Befindens und der Gemüthsſtimmung konnte eine veränderte Urtheilskraft bedingen, wie ich denn auch geſchehenermaßen am Tage vor meiner Prüfungsnacht mehr Getränke zu mir ge¬ nommen, als der Andere zu ſeiner Stunde wegen Mangel an Geſellſchaft habe thun können, da ich ja fortgeweſen ſei! Alſo genau wie beim Pferderennen, wo bis auf's Kleinſte Alles verglichen und abgewogen wird! Daß durch den Sieg meines Nebenbuhlers trotz des techniſch untadelhaften Verfahrens ihren geheimſten Wün¬ ſchen beſſer entſprochen worden ſei, als wenn ich geſiegt hätte, daran durfte ich ſchon damals nicht zweifeln. Denn ſie ſchien von Stund an von jeder Laſt befreit und un¬ getheilten leichten Herzens zu leben, welches hat, was es wünſcht. „Das iſt die Geſchichte von Hildeburg's Männerwahl, bei der ich unterlegen bin“, ſchloß der Oberſt, und raſch gegen Reinhart gewendet ſagte er:

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/266>, abgerufen am 22.11.2024.