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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Hildeburg als Gespenst gemacht hatte. Ich will nicht
weitläufig beschreiben, wie schlau sie alles angestellt; wie
sie den Knall einfach dadurch hervorgebracht, daß sie auf
dem Boden über dem alten Zimmer einen wackeligen
leeren Schrank mittelst einer Hebelstange umgestürzt, ihn
freilich nachher nicht mehr aufrichten konnte, weshalb
auch in der zweiten Nacht die Detonation unterblieb; wie
aus einem verborgenen Vorraume das Heizloch eines
ehemaligen Ofens in das Zimmer ging und von einem
verschiebbaren Felde des Holzgetäfels verdeckt war, das
Gespenst aber eben dort durchkriechen und hinter den
Bettvorhängen hervorschlüpfen konnte; wie sie die Bettdecke
mittelst eines Schnurgeschlinges wegziehen konnte, das
in den Falten der Gardinen versteckt hing; wie sie den
kalten Durchzug verursachte, indem sie im besagten Vor¬
raume ein nach Norden gehendes Fenster sperrweit öffnete,
im Zimmer aber schon vorher den oberen Flügel eines
nach Osten gehenden Fensters aufgethan hatte, so daß im
Augenblicke, wo sie das alte Ofenloch frei machte, die
Luft durchstrich; wie sie den Charakter der Gespenster¬
rolle mit merkwürdiger Phantasie ausstudiert, und zwar
in der größten Schnelligkeit: das erklärte sie uns jetzt
Schritt für Schritt, damit ja kein Zweifel übrig blieb,
und besonders mich ermahnte sie auf dem Passionswege
wiederholt, gewissermaßen bei jeder Station, doch nicht
mehr so leichtgläubig zu sein. Dabei hing sie sich zu¬
weilen traulich an meinen Arm, so daß mir nichts übrig

Hildeburg als Geſpenſt gemacht hatte. Ich will nicht
weitläufig beſchreiben, wie ſchlau ſie alles angeſtellt; wie
ſie den Knall einfach dadurch hervorgebracht, daß ſie auf
dem Boden über dem alten Zimmer einen wackeligen
leeren Schrank mittelſt einer Hebelſtange umgeſtürzt, ihn
freilich nachher nicht mehr aufrichten konnte, weshalb
auch in der zweiten Nacht die Detonation unterblieb; wie
aus einem verborgenen Vorraume das Heizloch eines
ehemaligen Ofens in das Zimmer ging und von einem
verſchiebbaren Felde des Holzgetäfels verdeckt war, das
Geſpenſt aber eben dort durchkriechen und hinter den
Bettvorhängen hervorſchlüpfen konnte; wie ſie die Bettdecke
mittelſt eines Schnurgeſchlinges wegziehen konnte, das
in den Falten der Gardinen verſteckt hing; wie ſie den
kalten Durchzug verurſachte, indem ſie im beſagten Vor¬
raume ein nach Norden gehendes Fenſter ſperrweit öffnete,
im Zimmer aber ſchon vorher den oberen Flügel eines
nach Oſten gehenden Fenſters aufgethan hatte, ſo daß im
Augenblicke, wo ſie das alte Ofenloch frei machte, die
Luft durchſtrich; wie ſie den Charakter der Geſpenſter¬
rolle mit merkwürdiger Phantaſie ausſtudiert, und zwar
in der größten Schnelligkeit: das erklärte ſie uns jetzt
Schritt für Schritt, damit ja kein Zweifel übrig blieb,
und beſonders mich ermahnte ſie auf dem Paſſionswege
wiederholt, gewiſſermaßen bei jeder Station, doch nicht
mehr ſo leichtgläubig zu ſein. Dabei hing ſie ſich zu¬
weilen traulich an meinen Arm, ſo daß mir nichts übrig

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[255/0265] Hildeburg als Geſpenſt gemacht hatte. Ich will nicht weitläufig beſchreiben, wie ſchlau ſie alles angeſtellt; wie ſie den Knall einfach dadurch hervorgebracht, daß ſie auf dem Boden über dem alten Zimmer einen wackeligen leeren Schrank mittelſt einer Hebelſtange umgeſtürzt, ihn freilich nachher nicht mehr aufrichten konnte, weshalb auch in der zweiten Nacht die Detonation unterblieb; wie aus einem verborgenen Vorraume das Heizloch eines ehemaligen Ofens in das Zimmer ging und von einem verſchiebbaren Felde des Holzgetäfels verdeckt war, das Geſpenſt aber eben dort durchkriechen und hinter den Bettvorhängen hervorſchlüpfen konnte; wie ſie die Bettdecke mittelſt eines Schnurgeſchlinges wegziehen konnte, das in den Falten der Gardinen verſteckt hing; wie ſie den kalten Durchzug verurſachte, indem ſie im beſagten Vor¬ raume ein nach Norden gehendes Fenſter ſperrweit öffnete, im Zimmer aber ſchon vorher den oberen Flügel eines nach Oſten gehenden Fenſters aufgethan hatte, ſo daß im Augenblicke, wo ſie das alte Ofenloch frei machte, die Luft durchſtrich; wie ſie den Charakter der Geſpenſter¬ rolle mit merkwürdiger Phantaſie ausſtudiert, und zwar in der größten Schnelligkeit: das erklärte ſie uns jetzt Schritt für Schritt, damit ja kein Zweifel übrig blieb, und beſonders mich ermahnte ſie auf dem Paſſionswege wiederholt, gewiſſermaßen bei jeder Station, doch nicht mehr ſo leichtgläubig zu ſein. Dabei hing ſie ſich zu¬ weilen traulich an meinen Arm, ſo daß mir nichts übrig

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/265>, abgerufen am 22.11.2024.