Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Nähe gewesen, ihre Lage nicht länger ertragen und doch
auch nicht zur früheren Entsagung so ohne Weiteres
zurückkehren mögen, und da sie die unglückliche Doppel¬
liebe längst als eine unwürdige Krankheit erkannt,
beschlossen, sich durch gewaltsame Wahl zu heilen. Die
Idee der Ausführung sei ihr plötzlich durch das Gerede
von der Spukgeschichte gekommen. Demjenigen von uns
Beiden, welcher dem Gespenste gegenüber den größeren
Muth erweise, wolle sie sich ergeben und den andern frei¬
lassen; denn daß sie uns Beide gefangen halte, habe sie
wohl gewußt. Nun habe sich die Verwirrung so klar
ausgeschieden, wie wir Alle nur wünschen könnten. Ich,
der Rittmeister, so brav ich sei, habe der göttlichen Ver¬
nunft manquirt im rechten Augenblick; Mannelin sei ihr
treu geblieben ohne Wanken, und sie trage ihm daher
Herz und Hand an u. s. w. u. s. w. muß ich abermals
sagen, um das Unerträgliche nach so viel Jahren noch
abzukürzen. Sie wurden in der Nacht noch Handels
einig, daß sie heimlich verlobt sein wollten, bis der Augen¬
blick gekommen sei, wo Mannelin bei ihren Eltern um
sie werben könne.

Diese artigen Vorgänge wurden mir in einer Geheim¬
sitzung, die zu Dritt stattfand, am andern Tage feierlich
eröffnet, als ich zum letzten Male hinausritt. Ich hatte
ahnungsvoll das raschere Pferd gewählt, da ich jetzt um
so unaufhaltsamer wieder davon galopiren konnte. Vorher
mußte ich jedoch mit dem Pärchen den Weg begehen, den

Nähe geweſen, ihre Lage nicht länger ertragen und doch
auch nicht zur früheren Entſagung ſo ohne Weiteres
zurückkehren mögen, und da ſie die unglückliche Doppel¬
liebe längſt als eine unwürdige Krankheit erkannt,
beſchloſſen, ſich durch gewaltſame Wahl zu heilen. Die
Idee der Ausführung ſei ihr plötzlich durch das Gerede
von der Spukgeſchichte gekommen. Demjenigen von uns
Beiden, welcher dem Geſpenſte gegenüber den größeren
Muth erweiſe, wolle ſie ſich ergeben und den andern frei¬
laſſen; denn daß ſie uns Beide gefangen halte, habe ſie
wohl gewußt. Nun habe ſich die Verwirrung ſo klar
ausgeſchieden, wie wir Alle nur wünſchen könnten. Ich,
der Rittmeiſter, ſo brav ich ſei, habe der göttlichen Ver¬
nunft manquirt im rechten Augenblick; Mannelin ſei ihr
treu geblieben ohne Wanken, und ſie trage ihm daher
Herz und Hand an u. ſ. w. u. ſ. w. muß ich abermals
ſagen, um das Unerträgliche nach ſo viel Jahren noch
abzukürzen. Sie wurden in der Nacht noch Handels
einig, daß ſie heimlich verlobt ſein wollten, bis der Augen¬
blick gekommen ſei, wo Mannelin bei ihren Eltern um
ſie werben könne.

Dieſe artigen Vorgänge wurden mir in einer Geheim¬
ſitzung, die zu Dritt ſtattfand, am andern Tage feierlich
eröffnet, als ich zum letzten Male hinausritt. Ich hatte
ahnungsvoll das raſchere Pferd gewählt, da ich jetzt um
ſo unaufhaltſamer wieder davon galopiren konnte. Vorher
mußte ich jedoch mit dem Pärchen den Weg begehen, den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="254"/>
Nähe gewe&#x017F;en, ihre Lage nicht länger ertragen und doch<lb/>
auch nicht zur früheren Ent&#x017F;agung &#x017F;o ohne Weiteres<lb/>
zurückkehren mögen, und da &#x017F;ie die unglückliche Doppel¬<lb/>
liebe läng&#x017F;t als eine unwürdige Krankheit erkannt,<lb/>
be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich durch gewalt&#x017F;ame Wahl zu heilen. Die<lb/>
Idee der Ausführung &#x017F;ei ihr plötzlich durch das Gerede<lb/>
von der Spukge&#x017F;chichte gekommen. Demjenigen von uns<lb/>
Beiden, welcher dem Ge&#x017F;pen&#x017F;te gegenüber den größeren<lb/>
Muth erwei&#x017F;e, wolle &#x017F;ie &#x017F;ich ergeben und den andern frei¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en; denn daß &#x017F;ie uns Beide gefangen halte, habe &#x017F;ie<lb/>
wohl gewußt. Nun habe &#x017F;ich die Verwirrung &#x017F;o klar<lb/>
ausge&#x017F;chieden, wie wir Alle nur wün&#x017F;chen könnten. Ich,<lb/>
der Rittmei&#x017F;ter, &#x017F;o brav ich &#x017F;ei, habe der göttlichen Ver¬<lb/>
nunft manquirt im rechten Augenblick; Mannelin &#x017F;ei ihr<lb/>
treu geblieben ohne Wanken, und &#x017F;ie trage ihm daher<lb/>
Herz und Hand an u. &#x017F;. w. u. &#x017F;. w. muß ich abermals<lb/>
&#x017F;agen, um das Unerträgliche nach &#x017F;o viel Jahren noch<lb/>
abzukürzen. Sie wurden in der Nacht noch Handels<lb/>
einig, daß &#x017F;ie heimlich verlobt &#x017F;ein wollten, bis der Augen¬<lb/>
blick gekommen &#x017F;ei, wo Mannelin bei ihren Eltern um<lb/>
&#x017F;ie werben könne.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e artigen Vorgänge wurden mir in einer Geheim¬<lb/>
&#x017F;itzung, die zu Dritt &#x017F;tattfand, am andern Tage feierlich<lb/>
eröffnet, als ich zum letzten Male hinausritt. Ich hatte<lb/>
ahnungsvoll das ra&#x017F;chere Pferd gewählt, da ich jetzt um<lb/>
&#x017F;o unaufhalt&#x017F;amer wieder davon galopiren konnte. Vorher<lb/>
mußte ich jedoch mit dem Pärchen den Weg begehen, den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0264] Nähe geweſen, ihre Lage nicht länger ertragen und doch auch nicht zur früheren Entſagung ſo ohne Weiteres zurückkehren mögen, und da ſie die unglückliche Doppel¬ liebe längſt als eine unwürdige Krankheit erkannt, beſchloſſen, ſich durch gewaltſame Wahl zu heilen. Die Idee der Ausführung ſei ihr plötzlich durch das Gerede von der Spukgeſchichte gekommen. Demjenigen von uns Beiden, welcher dem Geſpenſte gegenüber den größeren Muth erweiſe, wolle ſie ſich ergeben und den andern frei¬ laſſen; denn daß ſie uns Beide gefangen halte, habe ſie wohl gewußt. Nun habe ſich die Verwirrung ſo klar ausgeſchieden, wie wir Alle nur wünſchen könnten. Ich, der Rittmeiſter, ſo brav ich ſei, habe der göttlichen Ver¬ nunft manquirt im rechten Augenblick; Mannelin ſei ihr treu geblieben ohne Wanken, und ſie trage ihm daher Herz und Hand an u. ſ. w. u. ſ. w. muß ich abermals ſagen, um das Unerträgliche nach ſo viel Jahren noch abzukürzen. Sie wurden in der Nacht noch Handels einig, daß ſie heimlich verlobt ſein wollten, bis der Augen¬ blick gekommen ſei, wo Mannelin bei ihren Eltern um ſie werben könne. Dieſe artigen Vorgänge wurden mir in einer Geheim¬ ſitzung, die zu Dritt ſtattfand, am andern Tage feierlich eröffnet, als ich zum letzten Male hinausritt. Ich hatte ahnungsvoll das raſchere Pferd gewählt, da ich jetzt um ſo unaufhaltſamer wieder davon galopiren konnte. Vorher mußte ich jedoch mit dem Pärchen den Weg begehen, den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/264
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/264>, abgerufen am 25.11.2024.