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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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meiden konnte, von Mannelin zu erzählen was ich wußte,
was freilich wenig und doch bedenklich genug war. Der
Papa meinte, es sei doch zu hoffen, daß er sich noch unter
den Lebenden befinde, ansonst gewiß der eine oder andere
der jüngeren Freiwilligen, die in den letzten Wochen
bereits in ihre Hörsäle zurückgekehrt seien, eine bestimmte
Todeskunde gebracht hätte, Auch in den Verlustlisten,
die er ziemlich aufmerksam durchlaufen, sei ihm der Name
so wenig vorgekommen, als der meinige.

Allein als Hildeburg eine Viertelstunde später mit
mir zu Zweit durch eine Zimmerflucht wandelte, um mir
das Haus zu zeigen, das erst neu hergestellt und ein¬
gerichtet werden müsse, hielt sie Plötzlich an und sagte mit
leise hallenden Klagetönen: "Es ist nur zu wahr! Mein
kluger, lieber Kanzler Mannelin liegt in Frankreich unter
dem grünen Rasen; sie haben ihm die Brust durchschossen
und seine treuen blauen Augen ausgelöscht! Und Du,
Marschall, bist gekommen, es mir zu sagen!"

Und gleichzeitig sah sie mich mit tief aufflammenden
Augen an, die ebenso wol aus Haß wie aus Liebe so
erglüht sein konnten. Denn auf den blaß gewordenen
Lippen lag jetzt nichts als bittere Trauer. Das Du, mit
dem sie mich anredete, wagte ich nicht zu erwidern, so
herrisch hatte es geklungen, beinahe wie der Herr mit
dem Diener oder der Officier mit dem Soldaten sprach.

"Nein, Fräulein Hildeburg!" sagte ich, einen Schritt
zurücktretend, doch mit scheuer Ehrerbietung, denn sie sah

meiden konnte, von Mannelin zu erzählen was ich wußte,
was freilich wenig und doch bedenklich genug war. Der
Papa meinte, es ſei doch zu hoffen, daß er ſich noch unter
den Lebenden befinde, anſonſt gewiß der eine oder andere
der jüngeren Freiwilligen, die in den letzten Wochen
bereits in ihre Hörſäle zurückgekehrt ſeien, eine beſtimmte
Todeskunde gebracht hätte, Auch in den Verluſtliſten,
die er ziemlich aufmerkſam durchlaufen, ſei ihm der Name
ſo wenig vorgekommen, als der meinige.

Allein als Hildeburg eine Viertelſtunde ſpäter mit
mir zu Zweit durch eine Zimmerflucht wandelte, um mir
das Haus zu zeigen, das erſt neu hergeſtellt und ein¬
gerichtet werden müſſe, hielt ſie Plötzlich an und ſagte mit
leiſe hallenden Klagetönen: „Es iſt nur zu wahr! Mein
kluger, lieber Kanzler Mannelin liegt in Frankreich unter
dem grünen Raſen; ſie haben ihm die Bruſt durchſchoſſen
und ſeine treuen blauen Augen ausgelöſcht! Und Du,
Marſchall, biſt gekommen, es mir zu ſagen!“

Und gleichzeitig ſah ſie mich mit tief aufflammenden
Augen an, die ebenſo wol aus Haß wie aus Liebe ſo
erglüht ſein konnten. Denn auf den blaß gewordenen
Lippen lag jetzt nichts als bittere Trauer. Das Du, mit
dem ſie mich anredete, wagte ich nicht zu erwidern, ſo
herriſch hatte es geklungen, beinahe wie der Herr mit
dem Diener oder der Officier mit dem Soldaten ſprach.

„Nein, Fräulein Hildeburg!“ ſagte ich, einen Schritt
zurücktretend, doch mit ſcheuer Ehrerbietung, denn ſie ſah

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[233/0243] meiden konnte, von Mannelin zu erzählen was ich wußte, was freilich wenig und doch bedenklich genug war. Der Papa meinte, es ſei doch zu hoffen, daß er ſich noch unter den Lebenden befinde, anſonſt gewiß der eine oder andere der jüngeren Freiwilligen, die in den letzten Wochen bereits in ihre Hörſäle zurückgekehrt ſeien, eine beſtimmte Todeskunde gebracht hätte, Auch in den Verluſtliſten, die er ziemlich aufmerkſam durchlaufen, ſei ihm der Name ſo wenig vorgekommen, als der meinige. Allein als Hildeburg eine Viertelſtunde ſpäter mit mir zu Zweit durch eine Zimmerflucht wandelte, um mir das Haus zu zeigen, das erſt neu hergeſtellt und ein¬ gerichtet werden müſſe, hielt ſie Plötzlich an und ſagte mit leiſe hallenden Klagetönen: „Es iſt nur zu wahr! Mein kluger, lieber Kanzler Mannelin liegt in Frankreich unter dem grünen Raſen; ſie haben ihm die Bruſt durchſchoſſen und ſeine treuen blauen Augen ausgelöſcht! Und Du, Marſchall, biſt gekommen, es mir zu ſagen!“ Und gleichzeitig ſah ſie mich mit tief aufflammenden Augen an, die ebenſo wol aus Haß wie aus Liebe ſo erglüht ſein konnten. Denn auf den blaß gewordenen Lippen lag jetzt nichts als bittere Trauer. Das Du, mit dem ſie mich anredete, wagte ich nicht zu erwidern, ſo herriſch hatte es geklungen, beinahe wie der Herr mit dem Diener oder der Officier mit dem Soldaten ſprach. „Nein, Fräulein Hildeburg!“ ſagte ich, einen Schritt zurücktretend, doch mit ſcheuer Ehrerbietung, denn ſie ſah

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/243>, abgerufen am 24.11.2024.