Zügel meinem Burschen und betrat sogleich das einst stattlich gebaute, jetzt etwas verfallene Vestibül des Hauses. Erst als ich ihm den Mantel übergab, erkannte mich der Diener trotz des veränderten Aussehens, das der Krieg mir verliehen, und führte mich freundlich überrascht in einen Saal, wo der Herr und die Frau des Hauses die Zeitungen lasen. Auch sie erkannten mich nicht sofort, erhoben sich aber mit lebhafter Freude, als es geschah, und hießen mich willkommen. "Was wird Hildeburg sagen," riefen sie, "wenn der Marschall wieder da ist! Und wo bleibt denn der Kanzler? Wissen sie nichts von ihm? Wie oft haben wir von beiden Herren gesprochen!"
Eh' ich antworten konnte, trat Hildeburg in den Saal, die allein mich von einem Fenster aus erkannt hatte, so¬ bald ich nur von der Landstraße in die Allee ein¬ gebogen war.
Ich vergesse niemals die Erscheinung, wie sie mir entgegen trat. Wie ein weißes Tuch so bleich war das Gesicht, das Auge träumerisch erschreckt und auf dem Munde doch ein Lächeln des Wiedersehens, das aus dem Herzen kam, blasse Trauer und erröthende Freude mehrere Secunden lang sich jagend: es war kein Zweifel, sie hielt den armen Mannelin für todt und mich für gekommen, mein Recht geltend zu machen!
Zum Glücke waren die Eltern an allerlei wunderliche Stimmungen gewöhnt, sonst hätten sie jetzt ihren wahren Zustand ahnen müssen, besonders als ich nicht länger ver¬
Zügel meinem Burſchen und betrat ſogleich das einſt ſtattlich gebaute, jetzt etwas verfallene Veſtibül des Hauſes. Erſt als ich ihm den Mantel übergab, erkannte mich der Diener trotz des veränderten Ausſehens, das der Krieg mir verliehen, und führte mich freundlich überraſcht in einen Saal, wo der Herr und die Frau des Hauſes die Zeitungen laſen. Auch ſie erkannten mich nicht ſofort, erhoben ſich aber mit lebhafter Freude, als es geſchah, und hießen mich willkommen. „Was wird Hildeburg ſagen,“ riefen ſie, „wenn der Marſchall wieder da iſt! Und wo bleibt denn der Kanzler? Wiſſen ſie nichts von ihm? Wie oft haben wir von beiden Herren geſprochen!“
Eh' ich antworten konnte, trat Hildeburg in den Saal, die allein mich von einem Fenſter aus erkannt hatte, ſo¬ bald ich nur von der Landſtraße in die Allee ein¬ gebogen war.
Ich vergeſſe niemals die Erſcheinung, wie ſie mir entgegen trat. Wie ein weißes Tuch ſo bleich war das Geſicht, das Auge träumeriſch erſchreckt und auf dem Munde doch ein Lächeln des Wiederſehens, das aus dem Herzen kam, blaſſe Trauer und erröthende Freude mehrere Secunden lang ſich jagend: es war kein Zweifel, ſie hielt den armen Mannelin für todt und mich für gekommen, mein Recht geltend zu machen!
Zum Glücke waren die Eltern an allerlei wunderliche Stimmungen gewöhnt, ſonſt hätten ſie jetzt ihren wahren Zuſtand ahnen müſſen, beſonders als ich nicht länger ver¬
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Zügel meinem Burſchen und betrat ſogleich das einſt
ſtattlich gebaute, jetzt etwas verfallene Veſtibül des Hauſes.
Erſt als ich ihm den Mantel übergab, erkannte mich der
Diener trotz des veränderten Ausſehens, das der Krieg
mir verliehen, und führte mich freundlich überraſcht in
einen Saal, wo der Herr und die Frau des Hauſes die
Zeitungen laſen. Auch ſie erkannten mich nicht ſofort,
erhoben ſich aber mit lebhafter Freude, als es geſchah,
und hießen mich willkommen. „Was wird Hildeburg
ſagen,“ riefen ſie, „wenn der Marſchall wieder da iſt!
Und wo bleibt denn der Kanzler? Wiſſen ſie nichts von
ihm? Wie oft haben wir von beiden Herren geſprochen!“
Eh' ich antworten konnte, trat Hildeburg in den Saal,
die allein mich von einem Fenſter aus erkannt hatte, ſo¬
bald ich nur von der Landſtraße in die Allee ein¬
gebogen war.
Ich vergeſſe niemals die Erſcheinung, wie ſie mir
entgegen trat. Wie ein weißes Tuch ſo bleich war das
Geſicht, das Auge träumeriſch erſchreckt und auf dem
Munde doch ein Lächeln des Wiederſehens, das aus dem
Herzen kam, blaſſe Trauer und erröthende Freude mehrere
Secunden lang ſich jagend: es war kein Zweifel, ſie hielt
den armen Mannelin für todt und mich für gekommen,
mein Recht geltend zu machen!
Zum Glücke waren die Eltern an allerlei wunderliche
Stimmungen gewöhnt, ſonſt hätten ſie jetzt ihren wahren
Zuſtand ahnen müſſen, beſonders als ich nicht länger ver¬
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/242>, abgerufen am 24.11.2024.
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