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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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vermuthlichen Oheim vom Diener gestützt und mit einer
Krücke versehen, hinter dem Hause hervorkommen. Der
Ruf Lux galt natürlich der Nichte, deren Namen Lucia
er sich dergestalt zugestutzt hatte. Es schien ein ehemaliger
Kriegsoberst zu sein, da er einen langen grauen Schnurr¬
bart trug, sowie einen Rock von halbmilitärischem Zu¬
schnitt und ein verschlissenes Bändchen im Knopfloch. Nun
erschien auch das Fräulein auf dem morgenfrischen Schau¬
platze, und so säumte Reinhart nicht länger, sich fertig
zu machen und auch hinunter zu gehen, wo er den Herrn
und die Dame am Tische sitzend antraf, dicht neben dem
Brunnen mit seinem klingenden krystallklaren Wasser.
Reinhart verhinderte rasch, daß der alte Herr sich erhob,
als er ihm von Lucien vorgestellt wurde.

Der Oheim fixirte ihn aufmerksam mit der Freiheit
alter Soldaten oder Sonderlinge, indem er nach und nach,
ohne sich zu eilen, vorbrachte, sein Name sei ihm wohl¬
bekannt, es komme nur darauf an, ob er etwa der Sohn
des Professors gleichen Namens in X sei; denn wenn er
sich recht besinne, so sei ein Freund aus jungen Jahren
dort hängen geblieben und ein berühmter Pandektenpauker
geworden?

Reinhart bestätigte lachend seine Vermuthung, und
Lucie erklärte das Ereigniß für ein sehr artiges, welches
sie theilweise herbeigeführt zu haben sich etwas einbilde.
Der Oheim jedoch fuhr fort, das Gesicht des jungen Gastes
zu studiren und immer tiefer in seiner Erinnerung nach¬

vermuthlichen Oheim vom Diener geſtützt und mit einer
Krücke verſehen, hinter dem Hauſe hervorkommen. Der
Ruf Lux galt natürlich der Nichte, deren Namen Lucia
er ſich dergeſtalt zugeſtutzt hatte. Es ſchien ein ehemaliger
Kriegsoberſt zu ſein, da er einen langen grauen Schnurr¬
bart trug, ſowie einen Rock von halbmilitäriſchem Zu¬
ſchnitt und ein verſchliſſenes Bändchen im Knopfloch. Nun
erſchien auch das Fräulein auf dem morgenfriſchen Schau¬
platze, und ſo ſäumte Reinhart nicht länger, ſich fertig
zu machen und auch hinunter zu gehen, wo er den Herrn
und die Dame am Tiſche ſitzend antraf, dicht neben dem
Brunnen mit ſeinem klingenden kryſtallklaren Waſſer.
Reinhart verhinderte raſch, daß der alte Herr ſich erhob,
als er ihm von Lucien vorgeſtellt wurde.

Der Oheim fixirte ihn aufmerkſam mit der Freiheit
alter Soldaten oder Sonderlinge, indem er nach und nach,
ohne ſich zu eilen, vorbrachte, ſein Name ſei ihm wohl¬
bekannt, es komme nur darauf an, ob er etwa der Sohn
des Profeſſors gleichen Namens in X ſei; denn wenn er
ſich recht beſinne, ſo ſei ein Freund aus jungen Jahren
dort hängen geblieben und ein berühmter Pandektenpauker
geworden?

Reinhart beſtätigte lachend ſeine Vermuthung, und
Lucie erklärte das Ereigniß für ein ſehr artiges, welches
ſie theilweiſe herbeigeführt zu haben ſich etwas einbilde.
Der Oheim jedoch fuhr fort, das Geſicht des jungen Gaſtes
zu ſtudiren und immer tiefer in ſeiner Erinnerung nach¬

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[156/0166] vermuthlichen Oheim vom Diener geſtützt und mit einer Krücke verſehen, hinter dem Hauſe hervorkommen. Der Ruf Lux galt natürlich der Nichte, deren Namen Lucia er ſich dergeſtalt zugeſtutzt hatte. Es ſchien ein ehemaliger Kriegsoberſt zu ſein, da er einen langen grauen Schnurr¬ bart trug, ſowie einen Rock von halbmilitäriſchem Zu¬ ſchnitt und ein verſchliſſenes Bändchen im Knopfloch. Nun erſchien auch das Fräulein auf dem morgenfriſchen Schau¬ platze, und ſo ſäumte Reinhart nicht länger, ſich fertig zu machen und auch hinunter zu gehen, wo er den Herrn und die Dame am Tiſche ſitzend antraf, dicht neben dem Brunnen mit ſeinem klingenden kryſtallklaren Waſſer. Reinhart verhinderte raſch, daß der alte Herr ſich erhob, als er ihm von Lucien vorgeſtellt wurde. Der Oheim fixirte ihn aufmerkſam mit der Freiheit alter Soldaten oder Sonderlinge, indem er nach und nach, ohne ſich zu eilen, vorbrachte, ſein Name ſei ihm wohl¬ bekannt, es komme nur darauf an, ob er etwa der Sohn des Profeſſors gleichen Namens in X ſei; denn wenn er ſich recht beſinne, ſo ſei ein Freund aus jungen Jahren dort hängen geblieben und ein berühmter Pandektenpauker geworden? Reinhart beſtätigte lachend ſeine Vermuthung, und Lucie erklärte das Ereigniß für ein ſehr artiges, welches ſie theilweiſe herbeigeführt zu haben ſich etwas einbilde. Der Oheim jedoch fuhr fort, das Geſicht des jungen Gaſtes zu ſtudiren und immer tiefer in ſeiner Erinnerung nach¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/166>, abgerufen am 24.11.2024.