Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

"Welche Garantie?" antwortete Lydia, die
nun allmälig blaß und verlegen wurde, "ei!
Ihre verliebte Neigung, zu deren Erklärung ich
Sie endlich gezwungen habe! Sie werden mir
doch nicht läugnen wollen, daß Sie hingerissen
waren und mir so eben erzählten, wie ich Ihnen
von jeher gefallen? Warum ließen Sie das in
Ihrer Grobheit nicht ein klein Weniges merken,
so wie es dem schlichtesten und anspruchlosesten
Menschen wohl ansteht, und wenn er ein Schafhirt
wäre, so würde uns diese ganze Komödie, wie
Sie es nennen, erspart worden sein und ich
hätte mich begnügt!"

"Hätten Sie mich in meiner Ruhe gelassen,
meine Schöne," erwiederte ich, "so hätten Sie
mehr gewonnen. Denn Sie scheinen zu vergessen,
daß dies Wohlgefallen sich jetzt nothwendig in
sein Gegentheil verkehren muß, zu meinen eigenen
Schmerzen!"

"Hilft Ihnen nichts," sagte sie, "ich weiß
einmal, daß ich Ihnen wohlgefallen habe und
mithin im Blute stecke! Ich habe Ihr Ge¬
ständniß angehört und bin meiner Eroberung ver¬
sichert. Alles übrige ist gleichgültig; so geht es

»Welche Garantie?« antwortete Lydia, die
nun allmälig blaß und verlegen wurde, »ei!
Ihre verliebte Neigung, zu deren Erklärung ich
Sie endlich gezwungen habe! Sie werden mir
doch nicht läugnen wollen, daß Sie hingeriſſen
waren und mir ſo eben erzählten, wie ich Ihnen
von jeher gefallen? Warum ließen Sie das in
Ihrer Grobheit nicht ein klein Weniges merken,
ſo wie es dem ſchlichteſten und anſpruchloſeſten
Menſchen wohl anſteht, und wenn er ein Schafhirt
wäre, ſo würde uns dieſe ganze Komödie, wie
Sie es nennen, erſpart worden ſein und ich
hätte mich begnügt!«

»Hätten Sie mich in meiner Ruhe gelaſſen,
meine Schöne,« erwiederte ich, »ſo hätten Sie
mehr gewonnen. Denn Sie ſcheinen zu vergeſſen,
daß dies Wohlgefallen ſich jetzt nothwendig in
ſein Gegentheil verkehren muß, zu meinen eigenen
Schmerzen!«

»Hilft Ihnen nichts,« ſagte ſie, »ich weiß
einmal, daß ich Ihnen wohlgefallen habe und
mithin im Blute ſtecke! Ich habe Ihr Ge¬
ſtändniß angehört und bin meiner Eroberung ver¬
ſichert. Alles übrige iſt gleichgültig; ſo geht es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0099" n="87"/>
        <p>»Welche Garantie?« antwortete Lydia, die<lb/>
nun allmälig blaß und verlegen wurde, »ei!<lb/>
Ihre verliebte Neigung, zu deren Erklärung ich<lb/>
Sie endlich gezwungen habe! Sie werden mir<lb/>
doch nicht läugnen wollen, daß Sie hingeri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
waren und mir &#x017F;o eben erzählten, wie ich Ihnen<lb/>
von jeher gefallen? Warum ließen Sie das in<lb/>
Ihrer Grobheit nicht ein klein Weniges merken,<lb/>
&#x017F;o wie es dem &#x017F;chlichte&#x017F;ten und an&#x017F;pruchlo&#x017F;e&#x017F;ten<lb/>
Men&#x017F;chen wohl an&#x017F;teht, und wenn er ein Schafhirt<lb/>
wäre, &#x017F;o würde uns die&#x017F;e ganze Komödie, wie<lb/>
Sie es nennen, er&#x017F;part worden &#x017F;ein und ich<lb/>
hätte mich begnügt!«</p><lb/>
        <p>»Hätten Sie mich in meiner Ruhe gela&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
meine Schöne,« erwiederte ich, »&#x017F;o hätten Sie<lb/>
mehr gewonnen. Denn Sie &#x017F;cheinen zu verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß dies Wohlgefallen &#x017F;ich jetzt nothwendig in<lb/>
&#x017F;ein Gegentheil verkehren muß, zu meinen eigenen<lb/>
Schmerzen!«</p><lb/>
        <p>»Hilft Ihnen nichts,« &#x017F;agte &#x017F;ie, »ich weiß<lb/>
einmal, daß ich Ihnen wohlgefallen habe und<lb/>
mithin im Blute &#x017F;tecke! Ich habe Ihr Ge¬<lb/>
&#x017F;tändniß angehört und bin meiner Eroberung ver¬<lb/>
&#x017F;ichert. Alles übrige i&#x017F;t gleichgültig; &#x017F;o geht es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0099] »Welche Garantie?« antwortete Lydia, die nun allmälig blaß und verlegen wurde, »ei! Ihre verliebte Neigung, zu deren Erklärung ich Sie endlich gezwungen habe! Sie werden mir doch nicht läugnen wollen, daß Sie hingeriſſen waren und mir ſo eben erzählten, wie ich Ihnen von jeher gefallen? Warum ließen Sie das in Ihrer Grobheit nicht ein klein Weniges merken, ſo wie es dem ſchlichteſten und anſpruchloſeſten Menſchen wohl anſteht, und wenn er ein Schafhirt wäre, ſo würde uns dieſe ganze Komödie, wie Sie es nennen, erſpart worden ſein und ich hätte mich begnügt!« »Hätten Sie mich in meiner Ruhe gelaſſen, meine Schöne,« erwiederte ich, »ſo hätten Sie mehr gewonnen. Denn Sie ſcheinen zu vergeſſen, daß dies Wohlgefallen ſich jetzt nothwendig in ſein Gegentheil verkehren muß, zu meinen eigenen Schmerzen!« »Hilft Ihnen nichts,« ſagte ſie, »ich weiß einmal, daß ich Ihnen wohlgefallen habe und mithin im Blute ſtecke! Ich habe Ihr Ge¬ ſtändniß angehört und bin meiner Eroberung ver¬ ſichert. Alles übrige iſt gleichgültig; ſo geht es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/99
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/99>, abgerufen am 06.05.2024.