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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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genstand einer gar so demuthvollen und gränzen¬
losen weiblichen Hingebung sind? daß ich Ärmste
nicht das sehnlich blöckende Lämmlein bin, für
das Sie mich in Ihrer Vergnügtheit gehalten?"

"Ich war nicht vergnügt, Fräulein!" erwie¬
derte ich. "Indessen wenn die Götter, wenn
Christus selbst einer unendlichen Liebe zu den
Menschen vielfach sich hingaben, und wenn die
Menschheit von jeher ihr höchstes Glück darin
fand, dieser rückhaltlosen Liebe der Götter werth
zu sein und ihr nachzugehen: warum sollte ich
mich schämen, mich ähnlich geliebt gewähnt zu
haben? Nein, Fräulein Lydia! ich rechne es mir
sogar zur Ehre an, daß ich mich von Ihnen fan¬
gen ließ, daß ich eher an die einfache Liebe und
Güte eines unbefangenen Gemüthes glaubte, bei
so klaren und entschiedenen Zeichen, als daß ich
verdorbener Weise nichts als eine einfältige Ko¬
mödie dahinter gefürchtet. Denn einfältig ist die
Geschichte! Welche Garantie haben Sie denn
nun für Ihren Glauben an sich selbst, da Sie
solche Mittel angewendet, um nur den ärmsten
und unansehnlichsten aller Feldwebel zu gewinnen,
Sie, die schöne und vornehme englische Dame?"

genſtand einer gar ſo demuthvollen und gränzen¬
loſen weiblichen Hingebung ſind? daß ich Ärmſte
nicht das ſehnlich blöckende Lämmlein bin, für
das Sie mich in Ihrer Vergnügtheit gehalten?«

»Ich war nicht vergnügt, Fräulein!« erwie¬
derte ich. »Indeſſen wenn die Götter, wenn
Chriſtus ſelbſt einer unendlichen Liebe zu den
Menſchen vielfach ſich hingaben, und wenn die
Menſchheit von jeher ihr höchſtes Glück darin
fand, dieſer rückhaltloſen Liebe der Götter werth
zu ſein und ihr nachzugehen: warum ſollte ich
mich ſchämen, mich ähnlich geliebt gewähnt zu
haben? Nein, Fräulein Lydia! ich rechne es mir
ſogar zur Ehre an, daß ich mich von Ihnen fan¬
gen ließ, daß ich eher an die einfache Liebe und
Güte eines unbefangenen Gemüthes glaubte, bei
ſo klaren und entſchiedenen Zeichen, als daß ich
verdorbener Weiſe nichts als eine einfältige Ko¬
mödie dahinter gefürchtet. Denn einfältig iſt die
Geſchichte! Welche Garantie haben Sie denn
nun für Ihren Glauben an ſich ſelbſt, da Sie
ſolche Mittel angewendet, um nur den ärmſten
und unanſehnlichſten aller Feldwebel zu gewinnen,
Sie, die ſchöne und vornehme engliſche Dame?«

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[86/0098] genſtand einer gar ſo demuthvollen und gränzen¬ loſen weiblichen Hingebung ſind? daß ich Ärmſte nicht das ſehnlich blöckende Lämmlein bin, für das Sie mich in Ihrer Vergnügtheit gehalten?« »Ich war nicht vergnügt, Fräulein!« erwie¬ derte ich. »Indeſſen wenn die Götter, wenn Chriſtus ſelbſt einer unendlichen Liebe zu den Menſchen vielfach ſich hingaben, und wenn die Menſchheit von jeher ihr höchſtes Glück darin fand, dieſer rückhaltloſen Liebe der Götter werth zu ſein und ihr nachzugehen: warum ſollte ich mich ſchämen, mich ähnlich geliebt gewähnt zu haben? Nein, Fräulein Lydia! ich rechne es mir ſogar zur Ehre an, daß ich mich von Ihnen fan¬ gen ließ, daß ich eher an die einfache Liebe und Güte eines unbefangenen Gemüthes glaubte, bei ſo klaren und entſchiedenen Zeichen, als daß ich verdorbener Weiſe nichts als eine einfältige Ko¬ mödie dahinter gefürchtet. Denn einfältig iſt die Geſchichte! Welche Garantie haben Sie denn nun für Ihren Glauben an ſich ſelbſt, da Sie ſolche Mittel angewendet, um nur den ärmſten und unanſehnlichſten aller Feldwebel zu gewinnen, Sie, die ſchöne und vornehme engliſche Dame?«

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/98>, abgerufen am 06.05.2024.