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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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noch nie so nah gesehen, erwiederte Spiegel leise,
wenn sie uns nur nicht zu fassen kriegt!"

Da rief die Hexe von unten: Ist die Luft
rein? Die Eule rief: "Ganz rein, es stinkt
herrlich in der Fechtschul'! und alsobald kam die
Hexe heraufgefahren und wurde in dem Garne
gefangen, welches die Katze und die Eule eiligst
zusammenzogen und verbanden. "Halt fest!"
sagte Spiegel, und "Binde gut!" die Eule. Die
Hexe zappelte und tobte mäuschenstill, wie ein
Fisch im Netz; aber es half ihr nichts und das
Garn bewährte sich auf das Beste. Nur der
Stiel ihres Besens ragte durch die Maschen.
Spiegel wollte ihn sachte herausziehen, erhielt
aber einen solchen Nasenstüber, daß er beinahe
in Ohnmacht fiel und einsah, wie man auch ei¬
ner Löwin im Netz nicht zu nahe kommen dürfe.
Endlich hielt sich die Hexe still und sagte: "Was
wollt ihr denn von mir, ihr wunderlichen Thiere?"

"Ihr sollt mich aus Eurem Dienste entlas¬
sen und meine Freiheit zurückgeben!" sagte die
Eule. "So viel Geschrei und wenig Wolle!"
sagte die Hexe, "Du bist frei, mach' dieß Garn
auf!" "Noch nicht! sagte Spiegel, der immer

noch nie ſo nah geſehen, erwiederte Spiegel leiſe,
wenn ſie uns nur nicht zu faſſen kriegt!«

Da rief die Hexe von unten: Iſt die Luft
rein? Die Eule rief: »Ganz rein, es ſtinkt
herrlich in der Fechtſchul'! und alſobald kam die
Hexe heraufgefahren und wurde in dem Garne
gefangen, welches die Katze und die Eule eiligſt
zuſammenzogen und verbanden. »Halt feſt!«
ſagte Spiegel, und »Binde gut!« die Eule. Die
Hexe zappelte und tobte mäuschenſtill, wie ein
Fiſch im Netz; aber es half ihr nichts und das
Garn bewährte ſich auf das Beſte. Nur der
Stiel ihres Beſens ragte durch die Maſchen.
Spiegel wollte ihn ſachte herausziehen, erhielt
aber einen ſolchen Naſenſtüber, daß er beinahe
in Ohnmacht fiel und einſah, wie man auch ei¬
ner Löwin im Netz nicht zu nahe kommen dürfe.
Endlich hielt ſich die Hexe ſtill und ſagte: »Was
wollt ihr denn von mir, ihr wunderlichen Thiere?«

»Ihr ſollt mich aus Eurem Dienſte entlaſ¬
ſen und meine Freiheit zurückgeben!« ſagte die
Eule. »So viel Geſchrei und wenig Wolle!«
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auf!« »Noch nicht! ſagte Spiegel, der immer

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[518/0530] noch nie ſo nah geſehen, erwiederte Spiegel leiſe, wenn ſie uns nur nicht zu faſſen kriegt!« Da rief die Hexe von unten: Iſt die Luft rein? Die Eule rief: »Ganz rein, es ſtinkt herrlich in der Fechtſchul'! und alſobald kam die Hexe heraufgefahren und wurde in dem Garne gefangen, welches die Katze und die Eule eiligſt zuſammenzogen und verbanden. »Halt feſt!« ſagte Spiegel, und »Binde gut!« die Eule. Die Hexe zappelte und tobte mäuschenſtill, wie ein Fiſch im Netz; aber es half ihr nichts und das Garn bewährte ſich auf das Beſte. Nur der Stiel ihres Beſens ragte durch die Maſchen. Spiegel wollte ihn ſachte herausziehen, erhielt aber einen ſolchen Naſenſtüber, daß er beinahe in Ohnmacht fiel und einſah, wie man auch ei¬ ner Löwin im Netz nicht zu nahe kommen dürfe. Endlich hielt ſich die Hexe ſtill und ſagte: »Was wollt ihr denn von mir, ihr wunderlichen Thiere?« »Ihr ſollt mich aus Eurem Dienſte entlaſ¬ ſen und meine Freiheit zurückgeben!« ſagte die Eule. »So viel Geſchrei und wenig Wolle!« ſagte die Hexe, »Du biſt frei, mach' dieß Garn auf!« »Noch nicht! ſagte Spiegel, der immer

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/530>, abgerufen am 30.04.2024.