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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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ger das Garn abermals liegen und lief eifrig
hinter dem Reiter her und sammelte die Gold¬
stücke in seinen Hut, bis der Reiter sich um¬
kehrte, es sah und voll Grimm seine Lanze auf
ihn richtete. Da bückte der Jäger sich erschrok¬
ken, reichte ihm den Hut dar und sagte: Er¬
laubt, gnädiger Herr, Ihr habt hier viel Gold
verloren, das ich Euch sorgfältig aufgelesen!
Dies war wiederum eine gute Handlung, indem
das ehrliche Finden eine der schwierigsten und
besten ist; er war aber so weit von dem Schne¬
pfengarn entfernt, daß er es die zweite Nacht
im Walde liegen ließ und den nähern Weg nach
Hause ging. Am dritten Tag endlich, welcher
gestern war, als er eben wieder auf dem Wege
war, traf er eine hübsche Gevattersfrau an, die
dem Alten um den Bart zu gehen pflegte und
der er schon manches Häslein geschenkt hat.
Darüber vergaß er die Schnepfen gänzlich und
sagte am Morgen: Ich habe den armen Schnepf¬
lein des Leben geschenkt; auch gegen Thiere muß
man barmherzig sein! Und um dieser drei guten
Handlungen willen fand er, daß er jetzt zu gut
sei für diese Welt, und ist heute Vormittag bei

ger das Garn abermals liegen und lief eifrig
hinter dem Reiter her und ſammelte die Gold¬
ſtücke in ſeinen Hut, bis der Reiter ſich um¬
kehrte, es ſah und voll Grimm ſeine Lanze auf
ihn richtete. Da bückte der Jäger ſich erſchrok¬
ken, reichte ihm den Hut dar und ſagte: Er¬
laubt, gnädiger Herr, Ihr habt hier viel Gold
verloren, das ich Euch ſorgfältig aufgeleſen!
Dies war wiederum eine gute Handlung, indem
das ehrliche Finden eine der ſchwierigſten und
beſten iſt; er war aber ſo weit von dem Schne¬
pfengarn entfernt, daß er es die zweite Nacht
im Walde liegen ließ und den nähern Weg nach
Hauſe ging. Am dritten Tag endlich, welcher
geſtern war, als er eben wieder auf dem Wege
war, traf er eine hübſche Gevattersfrau an, die
dem Alten um den Bart zu gehen pflegte und
der er ſchon manches Häslein geſchenkt hat.
Darüber vergaß er die Schnepfen gänzlich und
ſagte am Morgen: Ich habe den armen Schnepf¬
lein des Leben geſchenkt; auch gegen Thiere muß
man barmherzig ſein! Und um dieſer drei guten
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[516/0528] ger das Garn abermals liegen und lief eifrig hinter dem Reiter her und ſammelte die Gold¬ ſtücke in ſeinen Hut, bis der Reiter ſich um¬ kehrte, es ſah und voll Grimm ſeine Lanze auf ihn richtete. Da bückte der Jäger ſich erſchrok¬ ken, reichte ihm den Hut dar und ſagte: Er¬ laubt, gnädiger Herr, Ihr habt hier viel Gold verloren, das ich Euch ſorgfältig aufgeleſen! Dies war wiederum eine gute Handlung, indem das ehrliche Finden eine der ſchwierigſten und beſten iſt; er war aber ſo weit von dem Schne¬ pfengarn entfernt, daß er es die zweite Nacht im Walde liegen ließ und den nähern Weg nach Hauſe ging. Am dritten Tag endlich, welcher geſtern war, als er eben wieder auf dem Wege war, traf er eine hübſche Gevattersfrau an, die dem Alten um den Bart zu gehen pflegte und der er ſchon manches Häslein geſchenkt hat. Darüber vergaß er die Schnepfen gänzlich und ſagte am Morgen: Ich habe den armen Schnepf¬ lein des Leben geſchenkt; auch gegen Thiere muß man barmherzig ſein! Und um dieſer drei guten Handlungen willen fand er, daß er jetzt zu gut ſei für dieſe Welt, und iſt heute Vormittag bei

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/528>, abgerufen am 30.04.2024.