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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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scheidenen Fenstervorhänge waren immer schnee¬
weiß und wie so eben geplättet, und eben so
weiß war der Habit und das Kopf- und Hals¬
tuch einer alten Beghine, welche in dem Hause
wohnte, also daß ihr nonnenartiger Kopfputz,
der ihre Brust bekleidete, immer wie aus Schreib¬
papier gefaltet aussah, so daß man gleich darauf
hätte schreiben mögen; das hätte man wenig¬
stens auf der Brust bequem thun können, da sie
so eben und so hart war wie ein Brett. So
scharf die weißen Kanten und Ecken ihrer Klei¬
dung, so scharf war auch die lange Nase und
das Kinn der Beghine, ihre Zunge und der
böse Blick ihrer Augen; doch sprach sie nur we¬
nig mit der Zunge und blickte wenig mit den
Augen, da sie die Verschwendung nicht liebte
und Alles nur zur rechten Zeit und mit Be¬
dacht verwendete. Alle Tage ging sie drei Mal
in die Kirche, und wenn sie in ihrem frischen,
weißen und knitternden Zeuge und mit ihrer
weißen spitzigen Nase über die Straße ging,
liefen die Kinder furchtsam davon und selbst er¬
wachsene Leute traten gern hinter die Haus¬
thüre, wenn es noch Zeit war. Sie stand aber

ſcheidenen Fenſtervorhänge waren immer ſchnee¬
weiß und wie ſo eben geplättet, und eben ſo
weiß war der Habit und das Kopf- und Hals¬
tuch einer alten Beghine, welche in dem Hauſe
wohnte, alſo daß ihr nonnenartiger Kopfputz,
der ihre Bruſt bekleidete, immer wie aus Schreib¬
papier gefaltet ausſah, ſo daß man gleich darauf
hätte ſchreiben mögen; das hätte man wenig¬
ſtens auf der Bruſt bequem thun können, da ſie
ſo eben und ſo hart war wie ein Brett. So
ſcharf die weißen Kanten und Ecken ihrer Klei¬
dung, ſo ſcharf war auch die lange Naſe und
das Kinn der Beghine, ihre Zunge und der
böſe Blick ihrer Augen; doch ſprach ſie nur we¬
nig mit der Zunge und blickte wenig mit den
Augen, da ſie die Verſchwendung nicht liebte
und Alles nur zur rechten Zeit und mit Be¬
dacht verwendete. Alle Tage ging ſie drei Mal
in die Kirche, und wenn ſie in ihrem friſchen,
weißen und knitternden Zeuge und mit ihrer
weißen ſpitzigen Naſe über die Straße ging,
liefen die Kinder furchtſam davon und ſelbſt er¬
wachſene Leute traten gern hinter die Haus¬
thüre, wenn es noch Zeit war. Sie ſtand aber

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[509/0521] ſcheidenen Fenſtervorhänge waren immer ſchnee¬ weiß und wie ſo eben geplättet, und eben ſo weiß war der Habit und das Kopf- und Hals¬ tuch einer alten Beghine, welche in dem Hauſe wohnte, alſo daß ihr nonnenartiger Kopfputz, der ihre Bruſt bekleidete, immer wie aus Schreib¬ papier gefaltet ausſah, ſo daß man gleich darauf hätte ſchreiben mögen; das hätte man wenig¬ ſtens auf der Bruſt bequem thun können, da ſie ſo eben und ſo hart war wie ein Brett. So ſcharf die weißen Kanten und Ecken ihrer Klei¬ dung, ſo ſcharf war auch die lange Naſe und das Kinn der Beghine, ihre Zunge und der böſe Blick ihrer Augen; doch ſprach ſie nur we¬ nig mit der Zunge und blickte wenig mit den Augen, da ſie die Verſchwendung nicht liebte und Alles nur zur rechten Zeit und mit Be¬ dacht verwendete. Alle Tage ging ſie drei Mal in die Kirche, und wenn ſie in ihrem friſchen, weißen und knitternden Zeuge und mit ihrer weißen ſpitzigen Naſe über die Straße ging, liefen die Kinder furchtſam davon und ſelbſt er¬ wachſene Leute traten gern hinter die Haus¬ thüre, wenn es noch Zeit war. Sie ſtand aber

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/521>, abgerufen am 28.11.2024.