Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

so treu, aufopfernd und unabänderlich ergeben
zu sein, wie es mein unglücklicher Liebster ge¬
wesen ist, und dieser Frau sein Leben lang in
allen Dingen zu willfahren. Dann gieb der
Braut die zehntausend Goldgulden, welche im
Brunnen liegen, zur Mitgift, daß sie ihren
Bräutigam am Hochzeitmorgen damit überrasche!
So sprach die Selige und ich habe meiner wi¬
drigen Geschicke wegen versäumt, dieser Sache
nachzugehen und muß nun befürchten, daß die
Arme deswegen im Grabe noch beunruhigt sei,
was für mich eben auch nicht die angenehmsten
Folgen haben kann!"

Pineiß sah den Spiegel mißtrauisch an und
sagte: "Wärst Du wohl im Stande, Bürschchen!
mir den Schatz ein wenig nachzuweisen und
augenscheinlich zu machen?"

"Zu jeder Stunde!" versetzte Spiegel, "aber
Ihr müßt wissen, Herr Stadthexenmeister! daß
Ihr das Gold nicht etwa so ohne Weiteres
herausfischen dürftet. Man würde Euch unfehl¬
bar das Genick umdrehen; denn es ist nicht
[g]anz geheuer in dem Brunnen, ich habe darüber

ſo treu, aufopfernd und unabänderlich ergeben
zu ſein, wie es mein unglücklicher Liebſter ge¬
weſen iſt, und dieſer Frau ſein Leben lang in
allen Dingen zu willfahren. Dann gieb der
Braut die zehntauſend Goldgulden, welche im
Brunnen liegen, zur Mitgift, daß ſie ihren
Bräutigam am Hochzeitmorgen damit überraſche!
So ſprach die Selige und ich habe meiner wi¬
drigen Geſchicke wegen verſäumt, dieſer Sache
nachzugehen und muß nun befürchten, daß die
Arme deswegen im Grabe noch beunruhigt ſei,
was für mich eben auch nicht die angenehmſten
Folgen haben kann!«

Pineiß ſah den Spiegel mißtrauiſch an und
ſagte: »Wärſt Du wohl im Stande, Bürſchchen!
mir den Schatz ein wenig nachzuweiſen und
augenſcheinlich zu machen?«

»Zu jeder Stunde!« verſetzte Spiegel, »aber
Ihr müßt wiſſen, Herr Stadthexenmeiſter! daß
Ihr das Gold nicht etwa ſo ohne Weiteres
herausfiſchen dürftet. Man würde Euch unfehl¬
bar das Genick umdrehen; denn es iſt nicht
[g]anz geheuer in dem Brunnen, ich habe darüber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0512" n="500"/>
&#x017F;o treu, aufopfernd und unabänderlich ergeben<lb/>
zu &#x017F;ein, wie es mein unglücklicher Lieb&#x017F;ter ge¬<lb/>
we&#x017F;en i&#x017F;t, und die&#x017F;er Frau &#x017F;ein Leben lang in<lb/>
allen Dingen zu willfahren. Dann gieb der<lb/>
Braut die zehntau&#x017F;end Goldgulden, welche im<lb/>
Brunnen liegen, zur Mitgift, daß &#x017F;ie ihren<lb/>
Bräutigam am Hochzeitmorgen damit überra&#x017F;che!<lb/>
So &#x017F;prach die Selige und ich habe meiner wi¬<lb/>
drigen Ge&#x017F;chicke wegen ver&#x017F;äumt, die&#x017F;er Sache<lb/>
nachzugehen und muß nun befürchten, daß die<lb/>
Arme deswegen im Grabe noch beunruhigt &#x017F;ei,<lb/>
was für mich eben auch nicht die angenehm&#x017F;ten<lb/>
Folgen haben kann!«</p><lb/>
          <p>Pineiß &#x017F;ah den Spiegel mißtraui&#x017F;ch an und<lb/>
&#x017F;agte: »Wär&#x017F;t Du wohl im Stande, Bür&#x017F;chchen!<lb/>
mir den Schatz ein wenig nachzuwei&#x017F;en und<lb/>
augen&#x017F;cheinlich zu machen?«</p><lb/>
          <p>»Zu jeder Stunde!« ver&#x017F;etzte Spiegel, »aber<lb/>
Ihr müßt wi&#x017F;&#x017F;en, Herr Stadthexenmei&#x017F;ter! daß<lb/>
Ihr das Gold nicht etwa &#x017F;o ohne Weiteres<lb/>
herausfi&#x017F;chen dürftet. Man würde Euch unfehl¬<lb/>
bar das Genick umdrehen; denn es i&#x017F;t nicht<lb/><supplied>g</supplied>anz geheuer in dem Brunnen, ich habe darüber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[500/0512] ſo treu, aufopfernd und unabänderlich ergeben zu ſein, wie es mein unglücklicher Liebſter ge¬ weſen iſt, und dieſer Frau ſein Leben lang in allen Dingen zu willfahren. Dann gieb der Braut die zehntauſend Goldgulden, welche im Brunnen liegen, zur Mitgift, daß ſie ihren Bräutigam am Hochzeitmorgen damit überraſche! So ſprach die Selige und ich habe meiner wi¬ drigen Geſchicke wegen verſäumt, dieſer Sache nachzugehen und muß nun befürchten, daß die Arme deswegen im Grabe noch beunruhigt ſei, was für mich eben auch nicht die angenehmſten Folgen haben kann!« Pineiß ſah den Spiegel mißtrauiſch an und ſagte: »Wärſt Du wohl im Stande, Bürſchchen! mir den Schatz ein wenig nachzuweiſen und augenſcheinlich zu machen?« »Zu jeder Stunde!« verſetzte Spiegel, »aber Ihr müßt wiſſen, Herr Stadthexenmeiſter! daß Ihr das Gold nicht etwa ſo ohne Weiteres herausfiſchen dürftet. Man würde Euch unfehl¬ bar das Genick umdrehen; denn es iſt nicht ganz geheuer in dem Brunnen, ich habe darüber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/512
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/512>, abgerufen am 24.11.2024.