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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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wo er geblieben sei. Endlich aber stellte es sich
durch einen Zufall heraus, daß der junge Kauf¬
herr aus einem blutrothen Stück Seidendamast,
welches er von seinem Handelsanfang her im
Haus liegen und bereits bezahlt hatte, sich ein
Kriegskleid hatte anfertigen lassen und unter die
Schweizer gegangen war, welche damals eben
im Solde des Königs Franz von Frankreich den
Mailändischen Krieg mitstritten. Nach der Schlacht
bei Pavia, in welcher so viele Schweizer das
Leben verloren, wurde er auf einem Haufen er¬
schlagener Spaniolen liegend gefunden von vielen
tödtlichen Wunden zerrissen und sein rothes Sei¬
dengewand von unten bis oben zerschlitzt und
zerfetzt. Eh' er den Geist aufgab, sagte er
einem neben ihm liegenden Seldwyler, der min¬
der übel zugerichtet war, folgende Botschaft in's
Gedächtniß und bat ihn, dieselbe auszurichten,
wenn er mit dem Leben davon käme! "Liebstes
Fräulein! Obgleich ich Euch bei meiner Ehre,
bei meinem Christenglauben und bei meiner Se¬
ligkeit geschworen habe, auf Euerer Hochzeit zu
erscheinen, so ist es mir dennoch nicht möglich
gewesen, Euch nochmals zu sehen und einen

wo er geblieben ſei. Endlich aber ſtellte es ſich
durch einen Zufall heraus, daß der junge Kauf¬
herr aus einem blutrothen Stück Seidendamaſt,
welches er von ſeinem Handelsanfang her im
Haus liegen und bereits bezahlt hatte, ſich ein
Kriegskleid hatte anfertigen laſſen und unter die
Schweizer gegangen war, welche damals eben
im Solde des Königs Franz von Frankreich den
Mailändiſchen Krieg mitſtritten. Nach der Schlacht
bei Pavia, in welcher ſo viele Schweizer das
Leben verloren, wurde er auf einem Haufen er¬
ſchlagener Spaniolen liegend gefunden von vielen
tödtlichen Wunden zerriſſen und ſein rothes Sei¬
dengewand von unten bis oben zerſchlitzt und
zerfetzt. Eh' er den Geiſt aufgab, ſagte er
einem neben ihm liegenden Seldwyler, der min¬
der übel zugerichtet war, folgende Botſchaft in's
Gedächtniß und bat ihn, dieſelbe auszurichten,
wenn er mit dem Leben davon käme! »Liebſtes
Fräulein! Obgleich ich Euch bei meiner Ehre,
bei meinem Chriſtenglauben und bei meiner Se¬
ligkeit geſchworen habe, auf Euerer Hochzeit zu
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[495/0507] wo er geblieben ſei. Endlich aber ſtellte es ſich durch einen Zufall heraus, daß der junge Kauf¬ herr aus einem blutrothen Stück Seidendamaſt, welches er von ſeinem Handelsanfang her im Haus liegen und bereits bezahlt hatte, ſich ein Kriegskleid hatte anfertigen laſſen und unter die Schweizer gegangen war, welche damals eben im Solde des Königs Franz von Frankreich den Mailändiſchen Krieg mitſtritten. Nach der Schlacht bei Pavia, in welcher ſo viele Schweizer das Leben verloren, wurde er auf einem Haufen er¬ ſchlagener Spaniolen liegend gefunden von vielen tödtlichen Wunden zerriſſen und ſein rothes Sei¬ dengewand von unten bis oben zerſchlitzt und zerfetzt. Eh' er den Geiſt aufgab, ſagte er einem neben ihm liegenden Seldwyler, der min¬ der übel zugerichtet war, folgende Botſchaft in's Gedächtniß und bat ihn, dieſelbe auszurichten, wenn er mit dem Leben davon käme! »Liebſtes Fräulein! Obgleich ich Euch bei meiner Ehre, bei meinem Chriſtenglauben und bei meiner Se¬ ligkeit geſchworen habe, auf Euerer Hochzeit zu erſcheinen, ſo iſt es mir dennoch nicht möglich geweſen, Euch nochmals zu ſehen und einen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/507>, abgerufen am 30.04.2024.