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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und warf mit hellem Jauchzen ihrer wohlklin¬
genden Stimme einen Granatblüthenstrauß in
die Reuß, welchen sie vor der Brust trug, kurz
ihre Lust war nicht zu bändigen, und es war
die fröhlichste Reise, die je gethan wurde. Heim¬
gekehrt, öffnete und lüftete sie ihr Haus von
oben bis unten und schmückte es, als ob sie
einen Prinzen erwartete. Aber zu Häupten
ihres Bettes legte sie den Sack mit den zehn¬
tausend Goldgulden und legte des Nachts den
Kopf so glückselig auf den harten Klumpen
und schlief darauf, wie wenn es das weichste
Flaumkissen gewesen wäre. Kaum konnte sie
den verabredeten Tag erwarten, wo sie ihn
sicher kommen sah, da sie wußte, daß er nicht
das einfachste Versprechen, geschweige denn einen
Schwur brechen würde, und wenn es ihm
um das Leben ginge. Aber der Tag brach an
und der Geliebte erschien nicht und es vergingen
viele Tage und Wochen, ohne daß er von sich
hören ließ. Da fing sie an an allen Gliedern
zu zittern und verfiel in die größte Angst und
Bangigkeit; sie schickte Briefe über Briefe nach
Mailand, aber Niemand wußte ihr zu sagen,

und warf mit hellem Jauchzen ihrer wohlklin¬
genden Stimme einen Granatblüthenſtrauß in
die Reuß, welchen ſie vor der Bruſt trug, kurz
ihre Luſt war nicht zu bändigen, und es war
die fröhlichſte Reiſe, die je gethan wurde. Heim¬
gekehrt, öffnete und lüftete ſie ihr Haus von
oben bis unten und ſchmückte es, als ob ſie
einen Prinzen erwartete. Aber zu Häupten
ihres Bettes legte ſie den Sack mit den zehn¬
tauſend Goldgulden und legte des Nachts den
Kopf ſo glückſelig auf den harten Klumpen
und ſchlief darauf, wie wenn es das weichſte
Flaumkiſſen geweſen wäre. Kaum konnte ſie
den verabredeten Tag erwarten, wo ſie ihn
ſicher kommen ſah, da ſie wußte, daß er nicht
das einfachſte Verſprechen, geſchweige denn einen
Schwur brechen würde, und wenn es ihm
um das Leben ginge. Aber der Tag brach an
und der Geliebte erſchien nicht und es vergingen
viele Tage und Wochen, ohne daß er von ſich
hören ließ. Da fing ſie an an allen Gliedern
zu zittern und verfiel in die größte Angſt und
Bangigkeit; ſie ſchickte Briefe über Briefe nach
Mailand, aber Niemand wußte ihr zu ſagen,

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[494/0506] und warf mit hellem Jauchzen ihrer wohlklin¬ genden Stimme einen Granatblüthenſtrauß in die Reuß, welchen ſie vor der Bruſt trug, kurz ihre Luſt war nicht zu bändigen, und es war die fröhlichſte Reiſe, die je gethan wurde. Heim¬ gekehrt, öffnete und lüftete ſie ihr Haus von oben bis unten und ſchmückte es, als ob ſie einen Prinzen erwartete. Aber zu Häupten ihres Bettes legte ſie den Sack mit den zehn¬ tauſend Goldgulden und legte des Nachts den Kopf ſo glückſelig auf den harten Klumpen und ſchlief darauf, wie wenn es das weichſte Flaumkiſſen geweſen wäre. Kaum konnte ſie den verabredeten Tag erwarten, wo ſie ihn ſicher kommen ſah, da ſie wußte, daß er nicht das einfachſte Verſprechen, geſchweige denn einen Schwur brechen würde, und wenn es ihm um das Leben ginge. Aber der Tag brach an und der Geliebte erſchien nicht und es vergingen viele Tage und Wochen, ohne daß er von ſich hören ließ. Da fing ſie an an allen Gliedern zu zittern und verfiel in die größte Angſt und Bangigkeit; ſie ſchickte Briefe über Briefe nach Mailand, aber Niemand wußte ihr zu ſagen,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/506>, abgerufen am 30.04.2024.