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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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gehren abzustehen; aber umsonst wandte er alle
Gründe an, um sie davon abzubringen, umsonst
stellte er ihr vor, daß seine Angelegenheiten
jetzt nicht erlaubten, nach der Schweiz zurück¬
zureisen, und daß er von einem solchen Abstecher
einen erheblichen Schaden erleiden würde. Sie
beharrte entschieden auf ihrem Verlangen und
schob ihm sogar sein Gold wieder zu, da er sich
nicht dazu verstehen wollte. Endlich versprach
er es, aber er mußte ihr die Hand darauf
geben und es ihr bei seiner Ehre und Seligkeit
beschwören. Sie bezeichnete ihm genau den Tag
und die Stunde, wann er eintreffen solle und
alles dies mußte er bei seinem Christenglauben
und bei seiner Seligkeit beschwören. Erst dann
nahm sie sein Opfer an und ließ den Schatz
vergnügt in ihre Schlafkammer tragen, wo sie
ihn eigenhändig in ihrer Reisetruhe verschloß
und den Schlüssel in den Busen steckte. Nun
hielt sie sich nicht länger in Mailand auf,
sondern reiste eben so fröhlich über den Sankt
Gotthard zurück, als schwermüthig sie hergekom¬
men war. Auf der Teufelsbrücke, wo sie hatte
hinabspringen wollen, lachte sie wie eine Unkluge

gehren abzuſtehen; aber umſonſt wandte er alle
Gründe an, um ſie davon abzubringen, umſonſt
ſtellte er ihr vor, daß ſeine Angelegenheiten
jetzt nicht erlaubten, nach der Schweiz zurück¬
zureiſen, und daß er von einem ſolchen Abſtecher
einen erheblichen Schaden erleiden würde. Sie
beharrte entſchieden auf ihrem Verlangen und
ſchob ihm ſogar ſein Gold wieder zu, da er ſich
nicht dazu verſtehen wollte. Endlich verſprach
er es, aber er mußte ihr die Hand darauf
geben und es ihr bei ſeiner Ehre und Seligkeit
beſchwören. Sie bezeichnete ihm genau den Tag
und die Stunde, wann er eintreffen ſolle und
alles dies mußte er bei ſeinem Chriſtenglauben
und bei ſeiner Seligkeit beſchwören. Erſt dann
nahm ſie ſein Opfer an und ließ den Schatz
vergnügt in ihre Schlafkammer tragen, wo ſie
ihn eigenhändig in ihrer Reiſetruhe verſchloß
und den Schlüſſel in den Buſen ſteckte. Nun
hielt ſie ſich nicht länger in Mailand auf,
ſondern reiſte eben ſo fröhlich über den Sankt
Gotthard zurück, als ſchwermüthig ſie hergekom¬
men war. Auf der Teufelsbrücke, wo ſie hatte
hinabſpringen wollen, lachte ſie wie eine Unkluge

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[493/0505] gehren abzuſtehen; aber umſonſt wandte er alle Gründe an, um ſie davon abzubringen, umſonſt ſtellte er ihr vor, daß ſeine Angelegenheiten jetzt nicht erlaubten, nach der Schweiz zurück¬ zureiſen, und daß er von einem ſolchen Abſtecher einen erheblichen Schaden erleiden würde. Sie beharrte entſchieden auf ihrem Verlangen und ſchob ihm ſogar ſein Gold wieder zu, da er ſich nicht dazu verſtehen wollte. Endlich verſprach er es, aber er mußte ihr die Hand darauf geben und es ihr bei ſeiner Ehre und Seligkeit beſchwören. Sie bezeichnete ihm genau den Tag und die Stunde, wann er eintreffen ſolle und alles dies mußte er bei ſeinem Chriſtenglauben und bei ſeiner Seligkeit beſchwören. Erſt dann nahm ſie ſein Opfer an und ließ den Schatz vergnügt in ihre Schlafkammer tragen, wo ſie ihn eigenhändig in ihrer Reiſetruhe verſchloß und den Schlüſſel in den Buſen ſteckte. Nun hielt ſie ſich nicht länger in Mailand auf, ſondern reiſte eben ſo fröhlich über den Sankt Gotthard zurück, als ſchwermüthig ſie hergekom¬ men war. Auf der Teufelsbrücke, wo ſie hatte hinabſpringen wollen, lachte ſie wie eine Unkluge

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/505>, abgerufen am 30.04.2024.