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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und verstellter Mensch war, so daß schon aus
diesen Gründen endlich die Wahl wirklich schwer
wurde, weil solche Menschen dann zuletzt doch eine
unheimliche Unruhe erwecken und die peinlichste
Ungewißheit bei einer Schönen zurücklassen, je
geriebener und geschickter sie sind. Das Haupt¬
mittel, ihre Anbeter zu prüfen, war, daß sie
ihre Uneigennützigkeit auf die Probe stellte und
sie alle Tage zu großen Ausgaben, zu reichen
Geschenken und zu wohlthätigen Handlungen ver¬
anlaßte. Aber sie mochten es machen, wie sie
wollten, so trafen sie doch nie das Rechte; denn
zeigten sie sich freigebig und aufopfernd, gaben
sie glänzende Feste, brachten sie ihr Geschenke
dar, oder anvertrauten ihr beträchtliche Gelder
für die Armen, so sagte sie plötzlich, dies Alles
geschehe nur, um mit einem Würmchen den Lachs
zu fangen, oder mit der Wurst nach der Speck¬
seite zu werfen, wie man zu sagen pflegt. Und
sie vergabte die Geschenke sowohl wie das an¬
vertraute Geld an Klöster und milde Stiftungen
und speisete die Armen; aber die betrogenen
Freier wies sie unbarmherzig ab. Bezeigten sich
dieselben aber zurückhaltend oder gar knauserig,

Keller, die Leute von Seldwyla. 31

und verſtellter Menſch war, ſo daß ſchon aus
dieſen Gründen endlich die Wahl wirklich ſchwer
wurde, weil ſolche Menſchen dann zuletzt doch eine
unheimliche Unruhe erwecken und die peinlichſte
Ungewißheit bei einer Schönen zurücklaſſen, je
geriebener und geſchickter ſie ſind. Das Haupt¬
mittel, ihre Anbeter zu prüfen, war, daß ſie
ihre Uneigennützigkeit auf die Probe ſtellte und
ſie alle Tage zu großen Ausgaben, zu reichen
Geſchenken und zu wohlthätigen Handlungen ver¬
anlaßte. Aber ſie mochten es machen, wie ſie
wollten, ſo trafen ſie doch nie das Rechte; denn
zeigten ſie ſich freigebig und aufopfernd, gaben
ſie glänzende Feſte, brachten ſie ihr Geſchenke
dar, oder anvertrauten ihr beträchtliche Gelder
für die Armen, ſo ſagte ſie plötzlich, dies Alles
geſchehe nur, um mit einem Würmchen den Lachs
zu fangen, oder mit der Wurſt nach der Speck¬
ſeite zu werfen, wie man zu ſagen pflegt. Und
ſie vergabte die Geſchenke ſowohl wie das an¬
vertraute Geld an Klöſter und milde Stiftungen
und ſpeiſete die Armen; aber die betrogenen
Freier wies ſie unbarmherzig ab. Bezeigten ſich
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Keller, die Leute von Seldwyla. 31
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[481/0493] und verſtellter Menſch war, ſo daß ſchon aus dieſen Gründen endlich die Wahl wirklich ſchwer wurde, weil ſolche Menſchen dann zuletzt doch eine unheimliche Unruhe erwecken und die peinlichſte Ungewißheit bei einer Schönen zurücklaſſen, je geriebener und geſchickter ſie ſind. Das Haupt¬ mittel, ihre Anbeter zu prüfen, war, daß ſie ihre Uneigennützigkeit auf die Probe ſtellte und ſie alle Tage zu großen Ausgaben, zu reichen Geſchenken und zu wohlthätigen Handlungen ver¬ anlaßte. Aber ſie mochten es machen, wie ſie wollten, ſo trafen ſie doch nie das Rechte; denn zeigten ſie ſich freigebig und aufopfernd, gaben ſie glänzende Feſte, brachten ſie ihr Geſchenke dar, oder anvertrauten ihr beträchtliche Gelder für die Armen, ſo ſagte ſie plötzlich, dies Alles geſchehe nur, um mit einem Würmchen den Lachs zu fangen, oder mit der Wurſt nach der Speck¬ ſeite zu werfen, wie man zu ſagen pflegt. Und ſie vergabte die Geſchenke ſowohl wie das an¬ vertraute Geld an Klöſter und milde Stiftungen und ſpeiſete die Armen; aber die betrogenen Freier wies ſie unbarmherzig ab. Bezeigten ſich dieſelben aber zurückhaltend oder gar knauſerig, Keller, die Leute von Seldwyla. 31

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/493>, abgerufen am 22.11.2024.