sie nur um ihres Gutes willen. War einer reich, so glaubte sie, er würde sie doch nicht be¬ gehren, wenn sie nicht auch reich wäre, und von den Unbemittelten nahm sie vollends als gewiß an, daß sie nur ihre Goldgülden im Auge hät¬ ten und sich daran gedächten gütlich zu thun, und das arme Fräulein, welches doch selbst so große Dinge auf den irdischen Besitz hielt, war nicht im Stande, diese Liebe zu Geld und Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr selbst zu unterscheiden, oder, wenn sie wirklich etwa vorhanden war, dieselbe nachzusehen und zu verzeihen. Mehrere Male war sie schon so gut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich stärker; aber plötzlich glaubte sie aus irgend ei¬ nem Zuge zu entnehmen, daß sie verrathen sei und man einzig an ihr Vermögen denke, und sie brach unverweilt die Geschichte entzwei und zog sich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurück. Sie prüfte Alle, welche ihr nicht mißfielen, auf hundert Arten, so daß eine große Gewandtheit dazu gehörte, nicht in die Falle zu gehen, und zuletzt Keiner mehr sich mit einiger Hoffnung nähern konnte, als wer ein durchaus geriebener
ſie nur um ihres Gutes willen. War einer reich, ſo glaubte ſie, er würde ſie doch nicht be¬ gehren, wenn ſie nicht auch reich wäre, und von den Unbemittelten nahm ſie vollends als gewiß an, daß ſie nur ihre Goldgülden im Auge hät¬ ten und ſich daran gedächten gütlich zu thun, und das arme Fräulein, welches doch ſelbſt ſo große Dinge auf den irdiſchen Beſitz hielt, war nicht im Stande, dieſe Liebe zu Geld und Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr ſelbſt zu unterſcheiden, oder, wenn ſie wirklich etwa vorhanden war, dieſelbe nachzuſehen und zu verzeihen. Mehrere Male war ſie ſchon ſo gut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich ſtärker; aber plötzlich glaubte ſie aus irgend ei¬ nem Zuge zu entnehmen, daß ſie verrathen ſei und man einzig an ihr Vermögen denke, und ſie brach unverweilt die Geſchichte entzwei und zog ſich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurück. Sie prüfte Alle, welche ihr nicht mißfielen, auf hundert Arten, ſo daß eine große Gewandtheit dazu gehörte, nicht in die Falle zu gehen, und zuletzt Keiner mehr ſich mit einiger Hoffnung nähern konnte, als wer ein durchaus geriebener
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0492"n="480"/>ſie nur um ihres Gutes willen. War einer<lb/>
reich, ſo glaubte ſie, er würde ſie doch nicht be¬<lb/>
gehren, wenn ſie nicht auch reich wäre, und von<lb/>
den Unbemittelten nahm ſie vollends als gewiß<lb/>
an, daß ſie nur ihre Goldgülden im Auge hät¬<lb/>
ten und ſich daran gedächten gütlich zu thun,<lb/>
und das arme Fräulein, welches doch ſelbſt<lb/>ſo große Dinge auf den irdiſchen Beſitz hielt,<lb/>
war nicht im Stande, dieſe Liebe zu Geld und<lb/>
Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr<lb/>ſelbſt zu unterſcheiden, oder, wenn ſie wirklich<lb/>
etwa vorhanden war, dieſelbe nachzuſehen und<lb/>
zu verzeihen. Mehrere Male war ſie ſchon ſo<lb/>
gut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich<lb/>ſtärker; aber plötzlich glaubte ſie aus irgend ei¬<lb/>
nem Zuge zu entnehmen, daß ſie verrathen ſei<lb/>
und man einzig an ihr Vermögen denke, und ſie<lb/>
brach unverweilt die Geſchichte entzwei und zog<lb/>ſich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurück.<lb/>
Sie prüfte Alle, welche ihr nicht mißfielen, auf<lb/>
hundert Arten, ſo daß eine große Gewandtheit<lb/>
dazu gehörte, nicht in die Falle zu gehen, und<lb/>
zuletzt Keiner mehr ſich mit einiger Hoffnung<lb/>
nähern konnte, als wer ein durchaus geriebener<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[480/0492]
ſie nur um ihres Gutes willen. War einer
reich, ſo glaubte ſie, er würde ſie doch nicht be¬
gehren, wenn ſie nicht auch reich wäre, und von
den Unbemittelten nahm ſie vollends als gewiß
an, daß ſie nur ihre Goldgülden im Auge hät¬
ten und ſich daran gedächten gütlich zu thun,
und das arme Fräulein, welches doch ſelbſt
ſo große Dinge auf den irdiſchen Beſitz hielt,
war nicht im Stande, dieſe Liebe zu Geld und
Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr
ſelbſt zu unterſcheiden, oder, wenn ſie wirklich
etwa vorhanden war, dieſelbe nachzuſehen und
zu verzeihen. Mehrere Male war ſie ſchon ſo
gut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich
ſtärker; aber plötzlich glaubte ſie aus irgend ei¬
nem Zuge zu entnehmen, daß ſie verrathen ſei
und man einzig an ihr Vermögen denke, und ſie
brach unverweilt die Geſchichte entzwei und zog
ſich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurück.
Sie prüfte Alle, welche ihr nicht mißfielen, auf
hundert Arten, ſo daß eine große Gewandtheit
dazu gehörte, nicht in die Falle zu gehen, und
zuletzt Keiner mehr ſich mit einiger Hoffnung
nähern konnte, als wer ein durchaus geriebener
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/492>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.