neiß zurechtgelegt hatte, damit er fleißig darauf schlafen und fett werden sollte, und zog es vor, wieder auf schmalen Gesimsen und hohen ge¬ fährlichen Stellen zu liegen, wenn er ruhen wollte. Ebenso verschmähte er die gebratenen Vögel und die gespickten Mäuse und fing sich lieber auf den Dächern, da er nun wieder ei¬ nen rechtmäßigen Jagdgrund hatte, mit List und Gewandtheit einen schlichten lebendigen Sper¬ ling, oder auf den Speichern eine flinke Maus, und solche Beute schmeckte ihm vortrefflicher, als das gebratene Wild in Pineißens künstlichem Gehäge, während sie ihn nicht zu fett machte; auch die Bewegung und Tapferkeit, sowie der wiedererlangte Gebrauch der Tugend und Phi¬ losophie verhinderten ein zu schnelles Fettwerden, so daß Spiegel zwar gesund und glänzend aus¬ sah, aber zu Pineißens Verwunderung auf einer gewissen Stufe der Beleibtheit stehen blieb, welche lange nicht das erreichte, was der Hexenmeister mit seiner freundlichen Mästung bezweckte; denn dieser stellte sich darunter ein kugelrundes, schwer¬ fälliges Thier vor, welches sich nicht vom Ruhe¬ kissen bewegte und aus eitel Schmeer bestand.
neiß zurechtgelegt hatte, damit er fleißig darauf ſchlafen und fett werden ſollte, und zog es vor, wieder auf ſchmalen Geſimſen und hohen ge¬ fährlichen Stellen zu liegen, wenn er ruhen wollte. Ebenſo verſchmähte er die gebratenen Vögel und die geſpickten Mäuſe und fing ſich lieber auf den Dächern, da er nun wieder ei¬ nen rechtmäßigen Jagdgrund hatte, mit Liſt und Gewandtheit einen ſchlichten lebendigen Sper¬ ling, oder auf den Speichern eine flinke Maus, und ſolche Beute ſchmeckte ihm vortrefflicher, als das gebratene Wild in Pineißens künſtlichem Gehäge, während ſie ihn nicht zu fett machte; auch die Bewegung und Tapferkeit, ſowie der wiedererlangte Gebrauch der Tugend und Phi¬ loſophie verhinderten ein zu ſchnelles Fettwerden, ſo daß Spiegel zwar geſund und glänzend aus¬ ſah, aber zu Pineißens Verwunderung auf einer gewiſſen Stufe der Beleibtheit ſtehen blieb, welche lange nicht das erreichte, was der Hexenmeiſter mit ſeiner freundlichen Mäſtung bezweckte; denn dieſer ſtellte ſich darunter ein kugelrundes, ſchwer¬ fälliges Thier vor, welches ſich nicht vom Ruhe¬ kiſſen bewegte und aus eitel Schmeer beſtand.
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neiß zurechtgelegt hatte, damit er fleißig darauf
ſchlafen und fett werden ſollte, und zog es vor,
wieder auf ſchmalen Geſimſen und hohen ge¬
fährlichen Stellen zu liegen, wenn er ruhen
wollte. Ebenſo verſchmähte er die gebratenen
Vögel und die geſpickten Mäuſe und fing ſich
lieber auf den Dächern, da er nun wieder ei¬
nen rechtmäßigen Jagdgrund hatte, mit Liſt und
Gewandtheit einen ſchlichten lebendigen Sper¬
ling, oder auf den Speichern eine flinke Maus,
und ſolche Beute ſchmeckte ihm vortrefflicher, als
das gebratene Wild in Pineißens künſtlichem
Gehäge, während ſie ihn nicht zu fett machte;
auch die Bewegung und Tapferkeit, ſowie der
wiedererlangte Gebrauch der Tugend und Phi¬
loſophie verhinderten ein zu ſchnelles Fettwerden,
ſo daß Spiegel zwar geſund und glänzend aus¬
ſah, aber zu Pineißens Verwunderung auf einer
gewiſſen Stufe der Beleibtheit ſtehen blieb, welche
lange nicht das erreichte, was der Hexenmeiſter
mit ſeiner freundlichen Mäſtung bezweckte; denn
dieſer ſtellte ſich darunter ein kugelrundes, ſchwer¬
fälliges Thier vor, welches ſich nicht vom Ruhe¬
kiſſen bewegte und aus eitel Schmeer beſtand.
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/476>, abgerufen am 22.11.2024.
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