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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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daran mich nur um einen Schritt näher zum
Tode gegessen habe! Kann man einen elenderen
und feigeren Vertrag abschließen, als sein Leben
noch ein Weilchen fristen zu lassen, um es dann
um diesen Preis doch zu verlieren? Wäre nicht
ein freiwilliger und schneller Tod vorzuziehen
gewesen für einen entschlossenen Kater? Aber
ich habe keine Gedanken gehabt, und nun da
ich wieder solche habe, sehe ich nichts vor mir,
als das Schicksal dieses Krametsvogels; wenn
ich rund genug bin, so muß ich von hinnen,
aus keinem andern Grunde, als weil ich rund
bin. Ein schöner Grund für einen lebenslustigen
und gedankenreichen Katzmann! Ach, könnte ich
aus dieser Schlinge kommen!"

Er vertiefte sich nun in vielfältige Grübe¬
leien, wie das gelingen möchte; aber da die
Zeit der Gefahr noch nicht da war, so wurde
es ihm nicht klar und er fand keinen Ausweg;
aber als ein kluger Mann ergab er sich bis
dahin der Tugend und der Selbstbeherrschung,
welches immer die beste Vorschule und Zeitver¬
wendung ist, bis sich etwas entscheiden soll. Er
verschmähte das weiche Kissen, welches ihm Pi¬

daran mich nur um einen Schritt näher zum
Tode gegeſſen habe! Kann man einen elenderen
und feigeren Vertrag abſchließen, als ſein Leben
noch ein Weilchen friſten zu laſſen, um es dann
um dieſen Preis doch zu verlieren? Wäre nicht
ein freiwilliger und ſchneller Tod vorzuziehen
geweſen für einen entſchloſſenen Kater? Aber
ich habe keine Gedanken gehabt, und nun da
ich wieder ſolche habe, ſehe ich nichts vor mir,
als das Schickſal dieſes Krametsvogels; wenn
ich rund genug bin, ſo muß ich von hinnen,
aus keinem andern Grunde, als weil ich rund
bin. Ein ſchöner Grund für einen lebensluſtigen
und gedankenreichen Katzmann! Ach, könnte ich
aus dieſer Schlinge kommen!«

Er vertiefte ſich nun in vielfältige Grübe¬
leien, wie das gelingen möchte; aber da die
Zeit der Gefahr noch nicht da war, ſo wurde
es ihm nicht klar und er fand keinen Ausweg;
aber als ein kluger Mann ergab er ſich bis
dahin der Tugend und der Selbſtbeherrſchung,
welches immer die beſte Vorſchule und Zeitver¬
wendung iſt, bis ſich etwas entſcheiden ſoll. Er
verſchmähte das weiche Kiſſen, welches ihm Pi¬

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[463/0475] daran mich nur um einen Schritt näher zum Tode gegeſſen habe! Kann man einen elenderen und feigeren Vertrag abſchließen, als ſein Leben noch ein Weilchen friſten zu laſſen, um es dann um dieſen Preis doch zu verlieren? Wäre nicht ein freiwilliger und ſchneller Tod vorzuziehen geweſen für einen entſchloſſenen Kater? Aber ich habe keine Gedanken gehabt, und nun da ich wieder ſolche habe, ſehe ich nichts vor mir, als das Schickſal dieſes Krametsvogels; wenn ich rund genug bin, ſo muß ich von hinnen, aus keinem andern Grunde, als weil ich rund bin. Ein ſchöner Grund für einen lebensluſtigen und gedankenreichen Katzmann! Ach, könnte ich aus dieſer Schlinge kommen!« Er vertiefte ſich nun in vielfältige Grübe¬ leien, wie das gelingen möchte; aber da die Zeit der Gefahr noch nicht da war, ſo wurde es ihm nicht klar und er fand keinen Ausweg; aber als ein kluger Mann ergab er ſich bis dahin der Tugend und der Selbſtbeherrſchung, welches immer die beſte Vorſchule und Zeitver¬ wendung iſt, bis ſich etwas entſcheiden ſoll. Er verſchmähte das weiche Kiſſen, welches ihm Pi¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/475>, abgerufen am 22.11.2024.