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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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ihn umfing. Jobst war der erste, welcher in
aller Frühe erwachte und sah, daß ein heiterer
Frühlingsmorgen in die Kammer schien, in wel¬
cher er nun schon seit sechs Jahren geschlafen.
So dürftig das Gemach aussah, so erschien es
ihm doch wie ein Paradies, welches er verlassen
sollte und zwar so ungerechter Weise. Er ließ
seine Augen umhergehen an den Wänden und
zählte alle die vertrauten Spuren von den vielen
Gesellen, die hier schon gewohnt kürzere oder
längere Zeit; hier hatte der seinen Kopf zu rei¬
ben gepflegt und einen dunklen Fleck verfertigt,
dort hatte jener einen Nagel eingeschlagen, um
seine Pfeife daran zu hängen, und das rothe
Schnürchen hing noch daran. Welche gute Men¬
schen waren das gewesen, daß sie so harmlos
wieder davon gegangen, während diese, welche
neben ihm lagen, durchaus nicht weichen wollten.
Dann heftete er sein Auge auf die Gegend zu¬
nächst seinem Gesichte, und betrachtete da die
kleineren Gegenstände, welche er schon tausend
Mal betrachtet, wenn er des Morgens oder am
Abend noch bei Tageshelle im Bette lag und
sich eines seligen, kostenfreien Daseins erfreute.

ihn umfing. Jobſt war der erſte, welcher in
aller Frühe erwachte und ſah, daß ein heiterer
Frühlingsmorgen in die Kammer ſchien, in wel¬
cher er nun ſchon ſeit ſechs Jahren geſchlafen.
So dürftig das Gemach ausſah, ſo erſchien es
ihm doch wie ein Paradies, welches er verlaſſen
ſollte und zwar ſo ungerechter Weiſe. Er ließ
ſeine Augen umhergehen an den Wänden und
zählte alle die vertrauten Spuren von den vielen
Geſellen, die hier ſchon gewohnt kürzere oder
längere Zeit; hier hatte der ſeinen Kopf zu rei¬
ben gepflegt und einen dunklen Fleck verfertigt,
dort hatte jener einen Nagel eingeſchlagen, um
ſeine Pfeife daran zu hängen, und das rothe
Schnürchen hing noch daran. Welche gute Men¬
ſchen waren das geweſen, daß ſie ſo harmlos
wieder davon gegangen, während dieſe, welche
neben ihm lagen, durchaus nicht weichen wollten.
Dann heftete er ſein Auge auf die Gegend zu¬
nächſt ſeinem Geſichte, und betrachtete da die
kleineren Gegenſtände, welche er ſchon tauſend
Mal betrachtet, wenn er des Morgens oder am
Abend noch bei Tageshelle im Bette lag und
ſich eines ſeligen, koſtenfreien Daſeins erfreute.

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[410/0422] ihn umfing. Jobſt war der erſte, welcher in aller Frühe erwachte und ſah, daß ein heiterer Frühlingsmorgen in die Kammer ſchien, in wel¬ cher er nun ſchon ſeit ſechs Jahren geſchlafen. So dürftig das Gemach ausſah, ſo erſchien es ihm doch wie ein Paradies, welches er verlaſſen ſollte und zwar ſo ungerechter Weiſe. Er ließ ſeine Augen umhergehen an den Wänden und zählte alle die vertrauten Spuren von den vielen Geſellen, die hier ſchon gewohnt kürzere oder längere Zeit; hier hatte der ſeinen Kopf zu rei¬ ben gepflegt und einen dunklen Fleck verfertigt, dort hatte jener einen Nagel eingeſchlagen, um ſeine Pfeife daran zu hängen, und das rothe Schnürchen hing noch daran. Welche gute Men¬ ſchen waren das geweſen, daß ſie ſo harmlos wieder davon gegangen, während dieſe, welche neben ihm lagen, durchaus nicht weichen wollten. Dann heftete er ſein Auge auf die Gegend zu¬ nächſt ſeinem Geſichte, und betrachtete da die kleineren Gegenſtände, welche er ſchon tauſend Mal betrachtet, wenn er des Morgens oder am Abend noch bei Tageshelle im Bette lag und ſich eines ſeligen, koſtenfreien Daſeins erfreute.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/422>, abgerufen am 25.11.2024.