bleiben heißen solle, und Jeder meinte damit sich selbst. Aber sie hütete sich, eine Wahl zu treffen und kündigte ihnen ernsthaft und gebie¬ terisch an, daß sie ihr gehorchen müßten, an¬ sonst sie ihnen ihre Freundschaft auf immer ent¬ ziehen würde. Jetzt rannte Jobst, der älteste, wieder davon und in das Haus des Meisters hinüber, und spornstreichs rannten die anderen hinter ihm her, befürchtend, daß er dort etwas gegen sie unternähme, und so schossen sie den ganzen Tag umher, wie Sternschnuppen und wurden sich untereinander so zuwider wie drei Spinnen in einem Netz. Die halbe Stadt sah dies seltsame Schauspiel der verstörten Kamm¬ macher, die bislang so still und ruhig gewesen, und die alten Leute wurden darüber ängstlich und hielten die Erscheinung für ein unnatürliches Vorzeichen schwerer Begebenheiten. Gegen Abend wurden sie matt und erschöpft, ohne daß sie sich eines Besseren besonnen und zu etwas entschieden hatten, und legten sich zähneklappernd in das alte Bett; Einer nach dem Anderen kroch unter die Decke und lag da, wie vom Tode hingestreckt, in verwirrten Gedanken, bis ein heilsamer Schlaf
26*
bleiben heißen ſolle, und Jeder meinte damit ſich ſelbſt. Aber ſie hütete ſich, eine Wahl zu treffen und kündigte ihnen ernſthaft und gebie¬ teriſch an, daß ſie ihr gehorchen müßten, an¬ ſonſt ſie ihnen ihre Freundſchaft auf immer ent¬ ziehen würde. Jetzt rannte Jobſt, der älteſte, wieder davon und in das Haus des Meiſters hinüber, und ſpornſtreichs rannten die anderen hinter ihm her, befürchtend, daß er dort etwas gegen ſie unternähme, und ſo ſchoſſen ſie den ganzen Tag umher, wie Sternſchnuppen und wurden ſich untereinander ſo zuwider wie drei Spinnen in einem Netz. Die halbe Stadt ſah dies ſeltſame Schauſpiel der verſtörten Kamm¬ macher, die bislang ſo ſtill und ruhig geweſen, und die alten Leute wurden darüber ängſtlich und hielten die Erſcheinung für ein unnatürliches Vorzeichen ſchwerer Begebenheiten. Gegen Abend wurden ſie matt und erſchöpft, ohne daß ſie ſich eines Beſſeren beſonnen und zu etwas entſchieden hatten, und legten ſich zähneklappernd in das alte Bett; Einer nach dem Anderen kroch unter die Decke und lag da, wie vom Tode hingeſtreckt, in verwirrten Gedanken, bis ein heilſamer Schlaf
26*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0421"n="409"/>
bleiben heißen ſolle, und Jeder meinte damit<lb/>ſich ſelbſt. Aber ſie hütete ſich, eine Wahl zu<lb/>
treffen und kündigte ihnen ernſthaft und gebie¬<lb/>
teriſch an, daß ſie ihr gehorchen müßten, an¬<lb/>ſonſt ſie ihnen ihre Freundſchaft auf immer ent¬<lb/>
ziehen würde. Jetzt rannte Jobſt, der älteſte,<lb/>
wieder davon und in das Haus des Meiſters<lb/>
hinüber, und ſpornſtreichs rannten die anderen<lb/>
hinter ihm her, befürchtend, daß er dort etwas<lb/>
gegen ſie unternähme, und ſo ſchoſſen ſie den<lb/>
ganzen Tag umher, wie Sternſchnuppen und<lb/>
wurden ſich untereinander ſo zuwider wie drei<lb/>
Spinnen in einem Netz. Die halbe Stadt ſah<lb/>
dies ſeltſame Schauſpiel der verſtörten Kamm¬<lb/>
macher, die bislang ſo ſtill und ruhig geweſen,<lb/>
und die alten Leute wurden darüber ängſtlich<lb/>
und hielten die Erſcheinung für ein unnatürliches<lb/>
Vorzeichen ſchwerer Begebenheiten. Gegen Abend<lb/>
wurden ſie matt und erſchöpft, ohne daß ſie ſich<lb/>
eines Beſſeren beſonnen und zu etwas entſchieden<lb/>
hatten, und legten ſich zähneklappernd in das<lb/>
alte Bett; Einer nach dem Anderen kroch unter<lb/>
die Decke und lag da, wie vom Tode hingeſtreckt,<lb/>
in verwirrten Gedanken, bis ein heilſamer Schlaf<lb/><fwplace="bottom"type="sig">26*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[409/0421]
bleiben heißen ſolle, und Jeder meinte damit
ſich ſelbſt. Aber ſie hütete ſich, eine Wahl zu
treffen und kündigte ihnen ernſthaft und gebie¬
teriſch an, daß ſie ihr gehorchen müßten, an¬
ſonſt ſie ihnen ihre Freundſchaft auf immer ent¬
ziehen würde. Jetzt rannte Jobſt, der älteſte,
wieder davon und in das Haus des Meiſters
hinüber, und ſpornſtreichs rannten die anderen
hinter ihm her, befürchtend, daß er dort etwas
gegen ſie unternähme, und ſo ſchoſſen ſie den
ganzen Tag umher, wie Sternſchnuppen und
wurden ſich untereinander ſo zuwider wie drei
Spinnen in einem Netz. Die halbe Stadt ſah
dies ſeltſame Schauſpiel der verſtörten Kamm¬
macher, die bislang ſo ſtill und ruhig geweſen,
und die alten Leute wurden darüber ängſtlich
und hielten die Erſcheinung für ein unnatürliches
Vorzeichen ſchwerer Begebenheiten. Gegen Abend
wurden ſie matt und erſchöpft, ohne daß ſie ſich
eines Beſſeren beſonnen und zu etwas entſchieden
hatten, und legten ſich zähneklappernd in das
alte Bett; Einer nach dem Anderen kroch unter
die Decke und lag da, wie vom Tode hingeſtreckt,
in verwirrten Gedanken, bis ein heilſamer Schlaf
26*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/421>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.