Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Falliten und Alten aber hämmerten, nähe¬
ten, schusterten, klebten, schnitzelten und päschelten
gar emsig darauf los, um den langen Tag zu
benutzen und einen vergnügten Abend zu erwer¬
ben, den sie nunmehr zu würdigen verstanden.
Auf dem kleinen Platze, wo die Wittwe wohnte,
war nichts als die stille Sommersonne auf dem
begrasten Pflaster zu sehen, an den offenen Fen¬
stern aber arbeiteten ringsum die alten Leute
und spielten die Kinder. Hinter einem blühenden
Rosmariengärtchen auf einem Brette saß die
Wittwe und spann und ihr gegenüber Estherchen
und nähete. Es waren schon einige Stunden
seit dem Essen verflossen und noch hatte Nie¬
mand eine Zwiesprache gehalten von der ganzen
Nachbarschaft. Da fand der Schuhmacher wahr¬
scheinlich, daß es Zeit sei, eine kleine Erholungs¬
pause zu eröffnen und nies'te so laut und muth¬
willig: Hupschi! daß alle Fenster zitterten und
der Buchbinder gegenüber, der eigentlich kein
Buchbinder war, sondern nur so aus dem Steg¬
reif allerhand Pappkästchen zusammenleimte und
an der Thüre ein verwittertes Glaskästchen hängen
hatte, in welchem eine Stange Siegellack an der

Die Falliten und Alten aber hämmerten, nähe¬
ten, ſchuſterten, klebten, ſchnitzelten und päſchelten
gar emſig darauf los, um den langen Tag zu
benutzen und einen vergnügten Abend zu erwer¬
ben, den ſie nunmehr zu würdigen verſtanden.
Auf dem kleinen Platze, wo die Wittwe wohnte,
war nichts als die ſtille Sommerſonne auf dem
begraſten Pflaſter zu ſehen, an den offenen Fen¬
ſtern aber arbeiteten ringsum die alten Leute
und ſpielten die Kinder. Hinter einem blühenden
Rosmariengärtchen auf einem Brette ſaß die
Wittwe und ſpann und ihr gegenüber Eſtherchen
und nähete. Es waren ſchon einige Stunden
ſeit dem Eſſen verfloſſen und noch hatte Nie¬
mand eine Zwieſprache gehalten von der ganzen
Nachbarſchaft. Da fand der Schuhmacher wahr¬
ſcheinlich, daß es Zeit ſei, eine kleine Erholungs¬
pauſe zu eröffnen und nieſ'te ſo laut und muth¬
willig: Hupſchi! daß alle Fenſter zitterten und
der Buchbinder gegenüber, der eigentlich kein
Buchbinder war, ſondern nur ſo aus dem Steg¬
reif allerhand Pappkäſtchen zuſammenleimte und
an der Thüre ein verwittertes Glaskäſtchen hängen
hatte, in welchem eine Stange Siegellack an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="20"/>
Die Falliten und Alten aber hämmerten, nähe¬<lb/>
ten, &#x017F;chu&#x017F;terten, klebten, &#x017F;chnitzelten und pä&#x017F;chelten<lb/>
gar em&#x017F;ig darauf los, um den langen Tag zu<lb/>
benutzen und einen vergnügten Abend zu erwer¬<lb/>
ben, den &#x017F;ie nunmehr zu würdigen ver&#x017F;tanden.<lb/>
Auf dem kleinen Platze, wo die Wittwe wohnte,<lb/>
war nichts als die &#x017F;tille Sommer&#x017F;onne auf dem<lb/>
begra&#x017F;ten Pfla&#x017F;ter zu &#x017F;ehen, an den offenen Fen¬<lb/>
&#x017F;tern aber arbeiteten ringsum die alten Leute<lb/>
und &#x017F;pielten die Kinder. Hinter einem blühenden<lb/>
Rosmariengärtchen auf einem Brette &#x017F;aß die<lb/>
Wittwe und &#x017F;pann und ihr gegenüber E&#x017F;therchen<lb/>
und nähete. Es waren &#x017F;chon einige Stunden<lb/>
&#x017F;eit dem E&#x017F;&#x017F;en verflo&#x017F;&#x017F;en und noch hatte Nie¬<lb/>
mand eine Zwie&#x017F;prache gehalten von der ganzen<lb/>
Nachbar&#x017F;chaft. Da fand der Schuhmacher wahr¬<lb/>
&#x017F;cheinlich, daß es Zeit &#x017F;ei, eine kleine Erholungs¬<lb/>
pau&#x017F;e zu eröffnen und nie&#x017F;'te &#x017F;o laut und muth¬<lb/>
willig: Hup&#x017F;chi! daß alle Fen&#x017F;ter zitterten und<lb/>
der Buchbinder gegenüber, der eigentlich kein<lb/>
Buchbinder war, &#x017F;ondern nur &#x017F;o aus dem Steg¬<lb/>
reif allerhand Pappkä&#x017F;tchen zu&#x017F;ammenleimte und<lb/>
an der Thüre ein verwittertes Glaskä&#x017F;tchen hängen<lb/>
hatte, in welchem eine Stange Siegellack an der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0032] Die Falliten und Alten aber hämmerten, nähe¬ ten, ſchuſterten, klebten, ſchnitzelten und päſchelten gar emſig darauf los, um den langen Tag zu benutzen und einen vergnügten Abend zu erwer¬ ben, den ſie nunmehr zu würdigen verſtanden. Auf dem kleinen Platze, wo die Wittwe wohnte, war nichts als die ſtille Sommerſonne auf dem begraſten Pflaſter zu ſehen, an den offenen Fen¬ ſtern aber arbeiteten ringsum die alten Leute und ſpielten die Kinder. Hinter einem blühenden Rosmariengärtchen auf einem Brette ſaß die Wittwe und ſpann und ihr gegenüber Eſtherchen und nähete. Es waren ſchon einige Stunden ſeit dem Eſſen verfloſſen und noch hatte Nie¬ mand eine Zwieſprache gehalten von der ganzen Nachbarſchaft. Da fand der Schuhmacher wahr¬ ſcheinlich, daß es Zeit ſei, eine kleine Erholungs¬ pauſe zu eröffnen und nieſ'te ſo laut und muth¬ willig: Hupſchi! daß alle Fenſter zitterten und der Buchbinder gegenüber, der eigentlich kein Buchbinder war, ſondern nur ſo aus dem Steg¬ reif allerhand Pappkäſtchen zuſammenleimte und an der Thüre ein verwittertes Glaskäſtchen hängen hatte, in welchem eine Stange Siegellack an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/32
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/32>, abgerufen am 28.03.2024.