geworden, wurde darüber zu einer hübschen und feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kin¬ destreue bei der alternden Mutter blieb, sondern eben sowohl aus Neugierde, um ja in dem Augenblicke da zu sein, wo der Bruder sich end¬ lich zeigen würde, und zu sehen, wie die Sache eigentlich verlaufe. Denn sie war guter Dinge und glaubte fest, daß er eines Tages wiederkäme und daß es dann etwas Rechtes auszulachen gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht schwer, ledig zu bleiben, da sie klug war und wohl sah, wie bei den Seldwylern nicht viel dahintersteckte von dauerhaftem Lebensglücke, und sie dagegen mit ihrer Mutter unveränderlich in einem kleinen Wohlständchen lebte, ruhig und ohne Sorgen; denn sie hatten ja einen tüchtigen Esser weniger und brauchten für sich fast gar nichts.
Da war es einst ein heller schöner Sommer¬ nachmittag, mitten in der Woche, wo man so an gar nichts denkt und die Leute in den kleinen Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seld¬ wyla befand sich sämmtlich mit dem Sonnenschein auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Thore oder auch in kühlen Schenkstuben in der Stadt.
geworden, wurde darüber zu einer hübſchen und feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kin¬ destreue bei der alternden Mutter blieb, ſondern eben ſowohl aus Neugierde, um ja in dem Augenblicke da zu ſein, wo der Bruder ſich end¬ lich zeigen würde, und zu ſehen, wie die Sache eigentlich verlaufe. Denn ſie war guter Dinge und glaubte feſt, daß er eines Tages wiederkäme und daß es dann etwas Rechtes auszulachen gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht ſchwer, ledig zu bleiben, da ſie klug war und wohl ſah, wie bei den Seldwylern nicht viel dahinterſteckte von dauerhaftem Lebensglücke, und ſie dagegen mit ihrer Mutter unveränderlich in einem kleinen Wohlſtändchen lebte, ruhig und ohne Sorgen; denn ſie hatten ja einen tüchtigen Eſſer weniger und brauchten für ſich faſt gar nichts.
Da war es einſt ein heller ſchöner Sommer¬ nachmittag, mitten in der Woche, wo man ſo an gar nichts denkt und die Leute in den kleinen Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seld¬ wyla befand ſich ſämmtlich mit dem Sonnenſchein auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Thore oder auch in kühlen Schenkſtuben in der Stadt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0031"n="19"/>
geworden, wurde darüber zu einer hübſchen und<lb/>
feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kin¬<lb/>
destreue bei der alternden Mutter blieb, ſondern<lb/>
eben ſowohl aus Neugierde, um ja in dem<lb/>
Augenblicke da zu ſein, wo der Bruder ſich end¬<lb/>
lich zeigen würde, und zu ſehen, wie die Sache<lb/>
eigentlich verlaufe. Denn ſie war guter Dinge<lb/>
und glaubte feſt, daß er eines Tages wiederkäme<lb/>
und daß es dann etwas Rechtes auszulachen<lb/>
gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht ſchwer, ledig<lb/>
zu bleiben, da ſie klug war und wohl ſah, wie<lb/>
bei den Seldwylern nicht viel dahinterſteckte von<lb/>
dauerhaftem Lebensglücke, und ſie dagegen mit<lb/>
ihrer Mutter unveränderlich in einem kleinen<lb/>
Wohlſtändchen lebte, ruhig und ohne Sorgen;<lb/>
denn ſie hatten ja einen tüchtigen Eſſer weniger<lb/>
und brauchten für ſich faſt gar nichts.</p><lb/><p>Da war es einſt ein heller ſchöner Sommer¬<lb/>
nachmittag, mitten in der Woche, wo man ſo an<lb/>
gar nichts denkt und die Leute in den kleinen<lb/>
Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seld¬<lb/>
wyla befand ſich ſämmtlich mit dem Sonnenſchein<lb/>
auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Thore<lb/>
oder auch in kühlen Schenkſtuben in der Stadt.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[19/0031]
geworden, wurde darüber zu einer hübſchen und
feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kin¬
destreue bei der alternden Mutter blieb, ſondern
eben ſowohl aus Neugierde, um ja in dem
Augenblicke da zu ſein, wo der Bruder ſich end¬
lich zeigen würde, und zu ſehen, wie die Sache
eigentlich verlaufe. Denn ſie war guter Dinge
und glaubte feſt, daß er eines Tages wiederkäme
und daß es dann etwas Rechtes auszulachen
gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht ſchwer, ledig
zu bleiben, da ſie klug war und wohl ſah, wie
bei den Seldwylern nicht viel dahinterſteckte von
dauerhaftem Lebensglücke, und ſie dagegen mit
ihrer Mutter unveränderlich in einem kleinen
Wohlſtändchen lebte, ruhig und ohne Sorgen;
denn ſie hatten ja einen tüchtigen Eſſer weniger
und brauchten für ſich faſt gar nichts.
Da war es einſt ein heller ſchöner Sommer¬
nachmittag, mitten in der Woche, wo man ſo an
gar nichts denkt und die Leute in den kleinen
Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seld¬
wyla befand ſich ſämmtlich mit dem Sonnenſchein
auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Thore
oder auch in kühlen Schenkſtuben in der Stadt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/31>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.