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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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geworden, wurde darüber zu einer hübschen und
feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kin¬
destreue bei der alternden Mutter blieb, sondern
eben sowohl aus Neugierde, um ja in dem
Augenblicke da zu sein, wo der Bruder sich end¬
lich zeigen würde, und zu sehen, wie die Sache
eigentlich verlaufe. Denn sie war guter Dinge
und glaubte fest, daß er eines Tages wiederkäme
und daß es dann etwas Rechtes auszulachen
gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht schwer, ledig
zu bleiben, da sie klug war und wohl sah, wie
bei den Seldwylern nicht viel dahintersteckte von
dauerhaftem Lebensglücke, und sie dagegen mit
ihrer Mutter unveränderlich in einem kleinen
Wohlständchen lebte, ruhig und ohne Sorgen;
denn sie hatten ja einen tüchtigen Esser weniger
und brauchten für sich fast gar nichts.

Da war es einst ein heller schöner Sommer¬
nachmittag, mitten in der Woche, wo man so an
gar nichts denkt und die Leute in den kleinen
Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seld¬
wyla befand sich sämmtlich mit dem Sonnenschein
auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Thore
oder auch in kühlen Schenkstuben in der Stadt.

geworden, wurde darüber zu einer hübſchen und
feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kin¬
destreue bei der alternden Mutter blieb, ſondern
eben ſowohl aus Neugierde, um ja in dem
Augenblicke da zu ſein, wo der Bruder ſich end¬
lich zeigen würde, und zu ſehen, wie die Sache
eigentlich verlaufe. Denn ſie war guter Dinge
und glaubte feſt, daß er eines Tages wiederkäme
und daß es dann etwas Rechtes auszulachen
gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht ſchwer, ledig
zu bleiben, da ſie klug war und wohl ſah, wie
bei den Seldwylern nicht viel dahinterſteckte von
dauerhaftem Lebensglücke, und ſie dagegen mit
ihrer Mutter unveränderlich in einem kleinen
Wohlſtändchen lebte, ruhig und ohne Sorgen;
denn ſie hatten ja einen tüchtigen Eſſer weniger
und brauchten für ſich faſt gar nichts.

Da war es einſt ein heller ſchöner Sommer¬
nachmittag, mitten in der Woche, wo man ſo an
gar nichts denkt und die Leute in den kleinen
Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seld¬
wyla befand ſich ſämmtlich mit dem Sonnenſchein
auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Thore
oder auch in kühlen Schenkſtuben in der Stadt.

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[19/0031] geworden, wurde darüber zu einer hübſchen und feinen alten Jungfer, welche nicht nur aus Kin¬ destreue bei der alternden Mutter blieb, ſondern eben ſowohl aus Neugierde, um ja in dem Augenblicke da zu ſein, wo der Bruder ſich end¬ lich zeigen würde, und zu ſehen, wie die Sache eigentlich verlaufe. Denn ſie war guter Dinge und glaubte feſt, daß er eines Tages wiederkäme und daß es dann etwas Rechtes auszulachen gäbe. Übrigens fiel es ihr nicht ſchwer, ledig zu bleiben, da ſie klug war und wohl ſah, wie bei den Seldwylern nicht viel dahinterſteckte von dauerhaftem Lebensglücke, und ſie dagegen mit ihrer Mutter unveränderlich in einem kleinen Wohlſtändchen lebte, ruhig und ohne Sorgen; denn ſie hatten ja einen tüchtigen Eſſer weniger und brauchten für ſich faſt gar nichts. Da war es einſt ein heller ſchöner Sommer¬ nachmittag, mitten in der Woche, wo man ſo an gar nichts denkt und die Leute in den kleinen Städten fleißig arbeiten. Der Glanz von Seld¬ wyla befand ſich ſämmtlich mit dem Sonnenſchein auf den übergrünten Kegelbahnen vor dem Thore oder auch in kühlen Schenkſtuben in der Stadt.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/31>, abgerufen am 25.11.2024.