Sonne krumm wurde, dieser Buchbinder rief: Zur Gesundheit! und alle Nachbarsleute lachten. Einer nach dem andern steckte den Kopf durch das Fenster, einige traten sogar vor die Thüre und gaben sich Prisen, und so war das Zeichen gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung und zu einem fröhlichen Gelächter während des Vesperkaffee's, der schon aus allen Häusern duf¬ tete und zichorirte. Diese hatten endlich gelernt, sich an wenigem einen Spaß zu machen. Da kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leier¬ mann mit einem schön polirten Orgelkasten, was in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit ist, da sie keine eingeborene Leiermänner besitzt. Er spielte ein sehnsüchtiges Lied von der Ferne und ihren Dingen, welches die Leute über die Maßen schön dünkte und besonders der Wittwe Thränen entlockte, da sie ihres Pankräzchens gedachte, das nun schon funfzehn Jahre verschwunden war. Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer, er zog ab und das Plätzchen wurde wieder still. Aber nicht lange nachher kam ein anderer Her¬ umtreiber mit einem großen fremden Vogel in einem Käfig, den er unaufhörlich zwischen dem
Sonne krumm wurde, dieſer Buchbinder rief: Zur Geſundheit! und alle Nachbarsleute lachten. Einer nach dem andern ſteckte den Kopf durch das Fenſter, einige traten ſogar vor die Thüre und gaben ſich Priſen, und ſo war das Zeichen gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung und zu einem fröhlichen Gelächter während des Vesperkaffee's, der ſchon aus allen Häuſern duf¬ tete und zichorirte. Dieſe hatten endlich gelernt, ſich an wenigem einen Spaß zu machen. Da kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leier¬ mann mit einem ſchön polirten Orgelkaſten, was in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit iſt, da ſie keine eingeborene Leiermänner beſitzt. Er ſpielte ein ſehnſüchtiges Lied von der Ferne und ihren Dingen, welches die Leute über die Maßen ſchön dünkte und beſonders der Wittwe Thränen entlockte, da ſie ihres Pankräzchens gedachte, das nun ſchon funfzehn Jahre verſchwunden war. Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer, er zog ab und das Plätzchen wurde wieder ſtill. Aber nicht lange nachher kam ein anderer Her¬ umtreiber mit einem großen fremden Vogel in einem Käfig, den er unaufhörlich zwiſchen dem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0033"n="21"/>
Sonne krumm wurde, dieſer Buchbinder rief:<lb/>
Zur Geſundheit! und alle Nachbarsleute lachten.<lb/>
Einer nach dem andern ſteckte den Kopf durch<lb/>
das Fenſter, einige traten ſogar vor die Thüre<lb/>
und gaben ſich Priſen, und ſo war das Zeichen<lb/>
gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung<lb/>
und zu einem fröhlichen Gelächter während des<lb/>
Vesperkaffee's, der ſchon aus allen Häuſern duf¬<lb/>
tete und zichorirte. Dieſe hatten endlich gelernt,<lb/>ſich an wenigem einen Spaß zu machen. Da<lb/>
kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leier¬<lb/>
mann mit einem ſchön polirten Orgelkaſten, was<lb/>
in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit iſt, da<lb/>ſie keine eingeborene Leiermänner beſitzt. Er<lb/>ſpielte ein ſehnſüchtiges Lied von der Ferne und<lb/>
ihren Dingen, welches die Leute über die Maßen<lb/>ſchön dünkte und beſonders der Wittwe Thränen<lb/>
entlockte, da ſie ihres Pankräzchens gedachte, das<lb/>
nun ſchon funfzehn Jahre verſchwunden war.<lb/>
Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer,<lb/>
er zog ab und das Plätzchen wurde wieder ſtill.<lb/>
Aber nicht lange nachher kam ein anderer Her¬<lb/>
umtreiber mit einem großen fremden Vogel in<lb/>
einem Käfig, den er unaufhörlich zwiſchen dem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[21/0033]
Sonne krumm wurde, dieſer Buchbinder rief:
Zur Geſundheit! und alle Nachbarsleute lachten.
Einer nach dem andern ſteckte den Kopf durch
das Fenſter, einige traten ſogar vor die Thüre
und gaben ſich Priſen, und ſo war das Zeichen
gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung
und zu einem fröhlichen Gelächter während des
Vesperkaffee's, der ſchon aus allen Häuſern duf¬
tete und zichorirte. Dieſe hatten endlich gelernt,
ſich an wenigem einen Spaß zu machen. Da
kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leier¬
mann mit einem ſchön polirten Orgelkaſten, was
in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit iſt, da
ſie keine eingeborene Leiermänner beſitzt. Er
ſpielte ein ſehnſüchtiges Lied von der Ferne und
ihren Dingen, welches die Leute über die Maßen
ſchön dünkte und beſonders der Wittwe Thränen
entlockte, da ſie ihres Pankräzchens gedachte, das
nun ſchon funfzehn Jahre verſchwunden war.
Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer,
er zog ab und das Plätzchen wurde wieder ſtill.
Aber nicht lange nachher kam ein anderer Her¬
umtreiber mit einem großen fremden Vogel in
einem Käfig, den er unaufhörlich zwiſchen dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/33>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.