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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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aber die Mutter, es thut ihm vielleicht gut, es
ist ja ein Elend, wie er aussieht!" "Hast Du
Geld zum Spazierengehen? woher hast Du es?"
sagte der Alte. "Ich brauche keines!" sagte
Sali. "Da hast Du einen Gulden!" versetzte
der Alte und warf ihm denselben hin. "Du
kannst im Dorf in's Wirthshaus gehen und ihn
dort verzehren, damit sie nicht glauben, wir
seien hier so übel dran." "Ich will nicht in's
Dorf und brauche den Gulden nicht, behaltet ihn
nur!" "So hast Du ihn gehabt, es wäre
Schad, wenn Du ihn haben müßtest, Du Steck¬
kopf!" rief Manz und schob seinen Gulden
wieder in die Tasche. Seine Frau aber, welche
nicht wußte, warum sie heute ihres Sohnes
wegen so wehmüthig und gerührt war, brachte
ihm ein großes schwarzes Mailänder Halstuch
mit rothem Rande, das sie nur selten getragen
und er schon früher gern gehabt hätte. Er
schlang es um den Hals und ließ die langen
Zipfel fliegen, auch stellte er zum ersten Mal
den Hemdkragen, den er sonst immer umgeschla¬
gen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über
die Ohren hinauf, in einer Anwandlung länd¬

aber die Mutter, es thut ihm vielleicht gut, es
iſt ja ein Elend, wie er ausſieht!« »Haſt Du
Geld zum Spazierengehen? woher haſt Du es?«
ſagte der Alte. »Ich brauche keines!« ſagte
Sali. »Da haſt Du einen Gulden!« verſetzte
der Alte und warf ihm denſelben hin. »Du
kannſt im Dorf in's Wirthshaus gehen und ihn
dort verzehren, damit ſie nicht glauben, wir
ſeien hier ſo übel dran.« »Ich will nicht in's
Dorf und brauche den Gulden nicht, behaltet ihn
nur!« »So haſt Du ihn gehabt, es wäre
Schad, wenn Du ihn haben müßteſt, Du Steck¬
kopf!« rief Manz und ſchob ſeinen Gulden
wieder in die Taſche. Seine Frau aber, welche
nicht wußte, warum ſie heute ihres Sohnes
wegen ſo wehmüthig und gerührt war, brachte
ihm ein großes ſchwarzes Mailänder Halstuch
mit rothem Rande, das ſie nur ſelten getragen
und er ſchon früher gern gehabt hätte. Er
ſchlang es um den Hals und ließ die langen
Zipfel fliegen, auch ſtellte er zum erſten Mal
den Hemdkragen, den er ſonſt immer umgeſchla¬
gen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über
die Ohren hinauf, in einer Anwandlung länd¬

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[303/0315] aber die Mutter, es thut ihm vielleicht gut, es iſt ja ein Elend, wie er ausſieht!« »Haſt Du Geld zum Spazierengehen? woher haſt Du es?« ſagte der Alte. »Ich brauche keines!« ſagte Sali. »Da haſt Du einen Gulden!« verſetzte der Alte und warf ihm denſelben hin. »Du kannſt im Dorf in's Wirthshaus gehen und ihn dort verzehren, damit ſie nicht glauben, wir ſeien hier ſo übel dran.« »Ich will nicht in's Dorf und brauche den Gulden nicht, behaltet ihn nur!« »So haſt Du ihn gehabt, es wäre Schad, wenn Du ihn haben müßteſt, Du Steck¬ kopf!« rief Manz und ſchob ſeinen Gulden wieder in die Taſche. Seine Frau aber, welche nicht wußte, warum ſie heute ihres Sohnes wegen ſo wehmüthig und gerührt war, brachte ihm ein großes ſchwarzes Mailänder Halstuch mit rothem Rande, das ſie nur ſelten getragen und er ſchon früher gern gehabt hätte. Er ſchlang es um den Hals und ließ die langen Zipfel fliegen, auch ſtellte er zum erſten Mal den Hemdkragen, den er ſonſt immer umgeſchla¬ gen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über die Ohren hinauf, in einer Anwandlung länd¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/315>, abgerufen am 22.11.2024.