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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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indem er ein Paar Schuhe für Vrenchen suchte,
und dies war ihm das vergnügteste Geschäft,
das er je betrieben. Er ging von einem Schuh¬
macher zum andern, ließ sich alle Weiberschuhe
zeigen, die vorhanden waren, und endlich han¬
delte er ein leichtes und feines Paar ein, so
hübsch, wie sie Vrenchen noch nie getragen. Er
verbarg die Schuhe unter seiner Weste und that
sie die übrige Zeit des Tages nicht mehr von
sich; er nahm sie sogar mit in's Bett und legte
sie unter das Kopfkissen. Da er das Mädchen
heute früh noch gesehen und morgen wieder
sehen sollte, so schlief er fest und ruhig, war
aber in aller Frühe munter und begann seinen
dürftigen Sonntagsstaat zurecht zu machen und
auszuputzen, so gut es gelingen wollte. Es fiel
seiner Mutter auf und sie fragte verwundert,
was er vor habe, da er sich schon lange nicht
mehr so sorglich angezogen. Er wolle einmal
über Land gehen und sich ein wenig umthun,
erwiederte er, er werde sonst krank in diesem
Hause. "Das ist mir die Zeit her ein merk¬
würdiges Leben, murrte der Vater, und ein
Herumschleichen!" "Laß ihn nur gehen, sagte

indem er ein Paar Schuhe für Vrenchen ſuchte,
und dies war ihm das vergnügteſte Geſchäft,
das er je betrieben. Er ging von einem Schuh¬
macher zum andern, ließ ſich alle Weiberſchuhe
zeigen, die vorhanden waren, und endlich han¬
delte er ein leichtes und feines Paar ein, ſo
hübſch, wie ſie Vrenchen noch nie getragen. Er
verbarg die Schuhe unter ſeiner Weſte und that
ſie die übrige Zeit des Tages nicht mehr von
ſich; er nahm ſie ſogar mit in's Bett und legte
ſie unter das Kopfkiſſen. Da er das Mädchen
heute früh noch geſehen und morgen wieder
ſehen ſollte, ſo ſchlief er feſt und ruhig, war
aber in aller Frühe munter und begann ſeinen
dürftigen Sonntagsſtaat zurecht zu machen und
auszuputzen, ſo gut es gelingen wollte. Es fiel
ſeiner Mutter auf und ſie fragte verwundert,
was er vor habe, da er ſich ſchon lange nicht
mehr ſo ſorglich angezogen. Er wolle einmal
über Land gehen und ſich ein wenig umthun,
erwiederte er, er werde ſonſt krank in dieſem
Hauſe. »Das iſt mir die Zeit her ein merk¬
würdiges Leben, murrte der Vater, und ein
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[302/0314] indem er ein Paar Schuhe für Vrenchen ſuchte, und dies war ihm das vergnügteſte Geſchäft, das er je betrieben. Er ging von einem Schuh¬ macher zum andern, ließ ſich alle Weiberſchuhe zeigen, die vorhanden waren, und endlich han¬ delte er ein leichtes und feines Paar ein, ſo hübſch, wie ſie Vrenchen noch nie getragen. Er verbarg die Schuhe unter ſeiner Weſte und that ſie die übrige Zeit des Tages nicht mehr von ſich; er nahm ſie ſogar mit in's Bett und legte ſie unter das Kopfkiſſen. Da er das Mädchen heute früh noch geſehen und morgen wieder ſehen ſollte, ſo ſchlief er feſt und ruhig, war aber in aller Frühe munter und begann ſeinen dürftigen Sonntagsſtaat zurecht zu machen und auszuputzen, ſo gut es gelingen wollte. Es fiel ſeiner Mutter auf und ſie fragte verwundert, was er vor habe, da er ſich ſchon lange nicht mehr ſo ſorglich angezogen. Er wolle einmal über Land gehen und ſich ein wenig umthun, erwiederte er, er werde ſonſt krank in dieſem Hauſe. »Das iſt mir die Zeit her ein merk¬ würdiges Leben, murrte der Vater, und ein Herumſchleichen!« »Laß ihn nur gehen, ſagte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/314>, abgerufen am 22.11.2024.