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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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lichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe
in der Brusttasche des Rockes, schon nach sieben
Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ,
drängte ihn ein seltsames Gefühl, Vater und
Mutter die Hand zu geben und auf der Straße
sah er sich noch einmal nach dem Hause um.
"Ich glaube am Ende, sagte Manz, der Bursche
streicht irgend einem Weibsbild nach, das hätten
wir gerade noch nöthig!" Die Frau sagte:
"O wollte Gott! daß er vielleicht ein Glück
machte! das thäte dem armen Buben gut!"
"Richtig! sagte der Mann, das fehlt nicht! das
wird ein himmlisches Glück geben, wenn er nur
erst an eine solche Maultasche zu gerathen das
Unglück hat! das thäte dem armen Bübeli gut!
natürlich!"

Sali richtete seinen Schritt erst nach dem
Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte;
aber unterweges ward er anderen Sinnes und
ging gradezu in's Dorf, um Vrenchen im Hause
selbst abzuholen, weil es ihm zu lang währte
bis halb elf. "Was kümmern uns die Leute!"
dachte er. "Niemand hilft uns und ich bin
ehrlich und fürchte niemand!" So trat er un¬

lichen Stolzes, und machte ſich dann, ſeine Schuhe
in der Bruſttaſche des Rockes, ſchon nach ſieben
Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ,
drängte ihn ein ſeltſames Gefühl, Vater und
Mutter die Hand zu geben und auf der Straße
ſah er ſich noch einmal nach dem Hauſe um.
»Ich glaube am Ende, ſagte Manz, der Burſche
ſtreicht irgend einem Weibsbild nach, das hätten
wir gerade noch nöthig!« Die Frau ſagte:
»O wollte Gott! daß er vielleicht ein Glück
machte! das thäte dem armen Buben gut!«
»Richtig! ſagte der Mann, das fehlt nicht! das
wird ein himmliſches Glück geben, wenn er nur
erſt an eine ſolche Maultaſche zu gerathen das
Unglück hat! das thäte dem armen Bübeli gut!
natürlich!«

Sali richtete ſeinen Schritt erſt nach dem
Fluſſe zu, wo er Vrenchen erwarten wollte;
aber unterweges ward er anderen Sinnes und
ging gradezu in's Dorf, um Vrenchen im Hauſe
ſelbſt abzuholen, weil es ihm zu lang währte
bis halb elf. »Was kümmern uns die Leute!«
dachte er. »Niemand hilft uns und ich bin
ehrlich und fürchte niemand!« So trat er un¬

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[304/0316] lichen Stolzes, und machte ſich dann, ſeine Schuhe in der Bruſttaſche des Rockes, ſchon nach ſieben Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ, drängte ihn ein ſeltſames Gefühl, Vater und Mutter die Hand zu geben und auf der Straße ſah er ſich noch einmal nach dem Hauſe um. »Ich glaube am Ende, ſagte Manz, der Burſche ſtreicht irgend einem Weibsbild nach, das hätten wir gerade noch nöthig!« Die Frau ſagte: »O wollte Gott! daß er vielleicht ein Glück machte! das thäte dem armen Buben gut!« »Richtig! ſagte der Mann, das fehlt nicht! das wird ein himmliſches Glück geben, wenn er nur erſt an eine ſolche Maultaſche zu gerathen das Unglück hat! das thäte dem armen Bübeli gut! natürlich!« Sali richtete ſeinen Schritt erſt nach dem Fluſſe zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; aber unterweges ward er anderen Sinnes und ging gradezu in's Dorf, um Vrenchen im Hauſe ſelbſt abzuholen, weil es ihm zu lang währte bis halb elf. »Was kümmern uns die Leute!« dachte er. »Niemand hilft uns und ich bin ehrlich und fürchte niemand!« So trat er un¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/316>, abgerufen am 13.05.2024.