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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Fuß der Länge und Breite nach umspannte mit
dem Schnürchen und sorgfältig Knoten in das¬
selbe knüpfte. "Du Schuhmacher!" sagte Vren¬
chen und lachte erröthend und freundschaftlich
zu ihm nieder. Sali wurde aber auch roth und
hielt den Fuß fest in seinen Händen, länger als
nöthig war, so daß Vrenchen ihn noch tiefer
erröthend zurückzog, den verwirrten Sali aber
noch einmal stürmisch umhalste und küßte, dann
aber fortschickte.

Sobald er in der Stadt war, trug er seine
Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm sechs oder
sieben Gulden dafür gab, für die silberne Kette
bekam er auch einige Gulden, und er dünkte
sich nun reich genug; denn er hatte, seit er
groß war, nie so viel Geld besessen auf einmal.
Wenn nur erst der Tag vorüber und der Sonn¬
tag angebrochen wäre, um das Glück damit zu
erkaufen, das er sich von dem Tage versprach,
dachte er; denn wenn das Übermorgen auch um
so dunkler und unbekannter hereinragte, so ge¬
wann die ersehnte Lustbarkeit von Morgen nur
einen seltsamern erhöhten Glanz und Schein.
Indessen brachte er die Zeit noch leidlich hin,

Fuß der Länge und Breite nach umſpannte mit
dem Schnürchen und ſorgfältig Knoten in das¬
ſelbe knüpfte. »Du Schuhmacher!« ſagte Vren¬
chen und lachte erröthend und freundſchaftlich
zu ihm nieder. Sali wurde aber auch roth und
hielt den Fuß feſt in ſeinen Händen, länger als
nöthig war, ſo daß Vrenchen ihn noch tiefer
erröthend zurückzog, den verwirrten Sali aber
noch einmal ſtürmiſch umhalſte und küßte, dann
aber fortſchickte.

Sobald er in der Stadt war, trug er ſeine
Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm ſechs oder
ſieben Gulden dafür gab, für die ſilberne Kette
bekam er auch einige Gulden, und er dünkte
ſich nun reich genug; denn er hatte, ſeit er
groß war, nie ſo viel Geld beſeſſen auf einmal.
Wenn nur erſt der Tag vorüber und der Sonn¬
tag angebrochen wäre, um das Glück damit zu
erkaufen, das er ſich von dem Tage verſprach,
dachte er; denn wenn das Übermorgen auch um
ſo dunkler und unbekannter hereinragte, ſo ge¬
wann die erſehnte Luſtbarkeit von Morgen nur
einen ſeltſamern erhöhten Glanz und Schein.
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[301/0313] Fuß der Länge und Breite nach umſpannte mit dem Schnürchen und ſorgfältig Knoten in das¬ ſelbe knüpfte. »Du Schuhmacher!« ſagte Vren¬ chen und lachte erröthend und freundſchaftlich zu ihm nieder. Sali wurde aber auch roth und hielt den Fuß feſt in ſeinen Händen, länger als nöthig war, ſo daß Vrenchen ihn noch tiefer erröthend zurückzog, den verwirrten Sali aber noch einmal ſtürmiſch umhalſte und küßte, dann aber fortſchickte. Sobald er in der Stadt war, trug er ſeine Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm ſechs oder ſieben Gulden dafür gab, für die ſilberne Kette bekam er auch einige Gulden, und er dünkte ſich nun reich genug; denn er hatte, ſeit er groß war, nie ſo viel Geld beſeſſen auf einmal. Wenn nur erſt der Tag vorüber und der Sonn¬ tag angebrochen wäre, um das Glück damit zu erkaufen, das er ſich von dem Tage verſprach, dachte er; denn wenn das Übermorgen auch um ſo dunkler und unbekannter hereinragte, ſo ge¬ wann die erſehnte Luſtbarkeit von Morgen nur einen ſeltſamern erhöhten Glanz und Schein. Indeſſen brachte er die Zeit noch leidlich hin,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/313>, abgerufen am 22.11.2024.