Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Finger, daß sie erschrocken hineilte, und er gab
ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen,
also daß beide Kinder in großer Traurigkeit und
weinend nach Hause gingen, und sie wußten jetzt
eigentlich so wenig warum sie so traurig waren,
als warum sie vorhin so vergnügt gewesen; denn
die Rauheit der Väter, an sich ziemlich neu,
war von den arglosen Geschöpfen noch nicht
begriffen und konnte sie nicht tiefer bewegen.

Die nächsten Tage war es schon eine här¬
tere Arbeit, zu welcher Mannsleute gehörten,
als Manz die Steine aufnehmen und wegfahren
ließ. Es wollte kein Ende nehmen und alle
Steine der Welt schienen da beisammen zu sein.
Er ließ sie aber nicht ganz vom Felde weg¬
bringen, sondern jede Fuhre auf jenem streitigen
Dreiecke abwerfen, welches Marti schon säuber¬
lich umgepflügt hatte. Er hatte vorher einen
graden Strich gezogen als Grenzscheide und be¬
lastete nun dies Fleckchen Erde mit allen Stei¬
nen, welche beide Männer seit unvordenklichen
Zeiten herübergeworfen, so daß eine gewaltige
Pyramide entstand, welche wegzubringen Marti
wohl bleiben lassen würde, dachte er. Marti

Finger, daß ſie erſchrocken hineilte, und er gab
ihr, ohne zu wiſſen warum, einige Ohrfeigen,
alſo daß beide Kinder in großer Traurigkeit und
weinend nach Hauſe gingen, und ſie wußten jetzt
eigentlich ſo wenig warum ſie ſo traurig waren,
als warum ſie vorhin ſo vergnügt geweſen; denn
die Rauheit der Väter, an ſich ziemlich neu,
war von den argloſen Geſchöpfen noch nicht
begriffen und konnte ſie nicht tiefer bewegen.

Die nächſten Tage war es ſchon eine här¬
tere Arbeit, zu welcher Mannsleute gehörten,
als Manz die Steine aufnehmen und wegfahren
ließ. Es wollte kein Ende nehmen und alle
Steine der Welt ſchienen da beiſammen zu ſein.
Er ließ ſie aber nicht ganz vom Felde weg¬
bringen, ſondern jede Fuhre auf jenem ſtreitigen
Dreiecke abwerfen, welches Marti ſchon ſäuber¬
lich umgepflügt hatte. Er hatte vorher einen
graden Strich gezogen als Grenzſcheide und be¬
laſtete nun dies Fleckchen Erde mit allen Stei¬
nen, welche beide Männer ſeit unvordenklichen
Zeiten herübergeworfen, ſo daß eine gewaltige
Pyramide entſtand, welche wegzubringen Marti
wohl bleiben laſſen würde, dachte er. Marti

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0244" n="232"/>
Finger, daß &#x017F;ie er&#x017F;chrocken hineilte, und er gab<lb/>
ihr, ohne zu wi&#x017F;&#x017F;en warum, einige Ohrfeigen,<lb/>
al&#x017F;o daß beide Kinder in großer Traurigkeit und<lb/>
weinend nach Hau&#x017F;e gingen, und &#x017F;ie wußten jetzt<lb/>
eigentlich &#x017F;o wenig warum &#x017F;ie &#x017F;o traurig waren,<lb/>
als warum &#x017F;ie vorhin &#x017F;o vergnügt gewe&#x017F;en; denn<lb/>
die Rauheit der Väter, an &#x017F;ich ziemlich neu,<lb/>
war von den arglo&#x017F;en Ge&#x017F;chöpfen noch nicht<lb/>
begriffen und konnte &#x017F;ie nicht tiefer bewegen.</p><lb/>
        <p>Die näch&#x017F;ten Tage war es &#x017F;chon eine här¬<lb/>
tere Arbeit, zu welcher Mannsleute gehörten,<lb/>
als Manz die Steine aufnehmen und wegfahren<lb/>
ließ. Es wollte kein Ende nehmen und alle<lb/>
Steine der Welt &#x017F;chienen da bei&#x017F;ammen zu &#x017F;ein.<lb/>
Er ließ &#x017F;ie aber nicht ganz vom Felde weg¬<lb/>
bringen, &#x017F;ondern jede Fuhre auf jenem &#x017F;treitigen<lb/>
Dreiecke abwerfen, welches Marti &#x017F;chon &#x017F;äuber¬<lb/>
lich umgepflügt hatte. Er hatte vorher einen<lb/>
graden Strich gezogen als Grenz&#x017F;cheide und be¬<lb/>
la&#x017F;tete nun dies Fleckchen Erde mit allen Stei¬<lb/>
nen, welche beide Männer &#x017F;eit unvordenklichen<lb/>
Zeiten herübergeworfen, &#x017F;o daß eine gewaltige<lb/>
Pyramide ent&#x017F;tand, welche wegzubringen Marti<lb/>
wohl bleiben la&#x017F;&#x017F;en würde, dachte er. Marti<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0244] Finger, daß ſie erſchrocken hineilte, und er gab ihr, ohne zu wiſſen warum, einige Ohrfeigen, alſo daß beide Kinder in großer Traurigkeit und weinend nach Hauſe gingen, und ſie wußten jetzt eigentlich ſo wenig warum ſie ſo traurig waren, als warum ſie vorhin ſo vergnügt geweſen; denn die Rauheit der Väter, an ſich ziemlich neu, war von den argloſen Geſchöpfen noch nicht begriffen und konnte ſie nicht tiefer bewegen. Die nächſten Tage war es ſchon eine här¬ tere Arbeit, zu welcher Mannsleute gehörten, als Manz die Steine aufnehmen und wegfahren ließ. Es wollte kein Ende nehmen und alle Steine der Welt ſchienen da beiſammen zu ſein. Er ließ ſie aber nicht ganz vom Felde weg¬ bringen, ſondern jede Fuhre auf jenem ſtreitigen Dreiecke abwerfen, welches Marti ſchon ſäuber¬ lich umgepflügt hatte. Er hatte vorher einen graden Strich gezogen als Grenzſcheide und be¬ laſtete nun dies Fleckchen Erde mit allen Stei¬ nen, welche beide Männer ſeit unvordenklichen Zeiten herübergeworfen, ſo daß eine gewaltige Pyramide entſtand, welche wegzubringen Marti wohl bleiben laſſen würde, dachte er. Marti

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/244
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/244>, abgerufen am 27.04.2024.