mal Gelegenheit, den wilden Steinkamm, der sie trennte, zu besteigen und sich gegenseitig von demselben herunterzustoßen. Wenn sie auch sonst keinen Verkehr mehr mit einander hatten, so schien diese jährliche Ceremonie um so sorglicher gewahrt zu werden, als sonst nirgends die Fel¬ der ihrer Väter zusammenstießen.
Indessen sollte der Acker doch endlich ver¬ kauft und der Erlös einstweilen gerichtlich auf¬ gehoben werden. Die Versteigerung fand an Ort und Stelle statt, wo sich aber nur einige Gaffer einfanden außer den Bauern Manz und Marti, da Niemand Lust hatte, das seltsame Stückchen zu erstehen und zwischen den zwei Nachbaren zu bebauen. Denn obgleich diese zu den besten Bauern des Dorfes gehörten und nichts weiter gethan hatten, als was zwei Drit¬ tel der Übrigen unter diesen Umständen auch gethan haben würden, so sah man sie doch jetzt stillschweigend darum an und Niemand wollte zwischen ihnen eingeklemmt sein mit dem geschmä¬ lerten Waisenfelde. Die meisten Menschen sind fähig oder bereit, ein in den Lüften umgehendes Unrecht zu verüben, wenn sie mit der Nase dar¬
mal Gelegenheit, den wilden Steinkamm, der ſie trennte, zu beſteigen und ſich gegenſeitig von demſelben herunterzuſtoßen. Wenn ſie auch ſonſt keinen Verkehr mehr mit einander hatten, ſo ſchien dieſe jährliche Ceremonie um ſo ſorglicher gewahrt zu werden, als ſonſt nirgends die Fel¬ der ihrer Väter zuſammenſtießen.
Indeſſen ſollte der Acker doch endlich ver¬ kauft und der Erlös einſtweilen gerichtlich auf¬ gehoben werden. Die Verſteigerung fand an Ort und Stelle ſtatt, wo ſich aber nur einige Gaffer einfanden außer den Bauern Manz und Marti, da Niemand Luſt hatte, das ſeltſame Stückchen zu erſtehen und zwiſchen den zwei Nachbaren zu bebauen. Denn obgleich dieſe zu den beſten Bauern des Dorfes gehörten und nichts weiter gethan hatten, als was zwei Drit¬ tel der Übrigen unter dieſen Umſtänden auch gethan haben würden, ſo ſah man ſie doch jetzt ſtillſchweigend darum an und Niemand wollte zwiſchen ihnen eingeklemmt ſein mit dem geſchmä¬ lerten Waiſenfelde. Die meiſten Menſchen ſind fähig oder bereit, ein in den Lüften umgehendes Unrecht zu verüben, wenn ſie mit der Naſe dar¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0238"n="226"/>
mal Gelegenheit, den wilden Steinkamm, der ſie<lb/>
trennte, zu beſteigen und ſich gegenſeitig von<lb/>
demſelben herunterzuſtoßen. Wenn ſie auch ſonſt<lb/>
keinen Verkehr mehr mit einander hatten, ſo<lb/>ſchien dieſe jährliche Ceremonie um ſo ſorglicher<lb/>
gewahrt zu werden, als ſonſt nirgends die Fel¬<lb/>
der ihrer Väter zuſammenſtießen.</p><lb/><p>Indeſſen ſollte der Acker doch endlich ver¬<lb/>
kauft und der Erlös einſtweilen gerichtlich auf¬<lb/>
gehoben werden. Die Verſteigerung fand an<lb/>
Ort und Stelle ſtatt, wo ſich aber nur einige<lb/>
Gaffer einfanden außer den Bauern Manz und<lb/>
Marti, da Niemand Luſt hatte, das ſeltſame<lb/>
Stückchen zu erſtehen und zwiſchen den zwei<lb/>
Nachbaren zu bebauen. Denn obgleich dieſe zu<lb/>
den beſten Bauern des Dorfes gehörten und<lb/>
nichts weiter gethan hatten, als was zwei Drit¬<lb/>
tel der Übrigen unter dieſen Umſtänden auch<lb/>
gethan haben würden, ſo ſah man ſie doch jetzt<lb/>ſtillſchweigend darum an und Niemand wollte<lb/>
zwiſchen ihnen eingeklemmt ſein mit dem geſchmä¬<lb/>
lerten Waiſenfelde. Die meiſten Menſchen ſind<lb/>
fähig oder bereit, ein in den Lüften umgehendes<lb/>
Unrecht zu verüben, wenn ſie mit der Naſe dar¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[226/0238]
mal Gelegenheit, den wilden Steinkamm, der ſie
trennte, zu beſteigen und ſich gegenſeitig von
demſelben herunterzuſtoßen. Wenn ſie auch ſonſt
keinen Verkehr mehr mit einander hatten, ſo
ſchien dieſe jährliche Ceremonie um ſo ſorglicher
gewahrt zu werden, als ſonſt nirgends die Fel¬
der ihrer Väter zuſammenſtießen.
Indeſſen ſollte der Acker doch endlich ver¬
kauft und der Erlös einſtweilen gerichtlich auf¬
gehoben werden. Die Verſteigerung fand an
Ort und Stelle ſtatt, wo ſich aber nur einige
Gaffer einfanden außer den Bauern Manz und
Marti, da Niemand Luſt hatte, das ſeltſame
Stückchen zu erſtehen und zwiſchen den zwei
Nachbaren zu bebauen. Denn obgleich dieſe zu
den beſten Bauern des Dorfes gehörten und
nichts weiter gethan hatten, als was zwei Drit¬
tel der Übrigen unter dieſen Umſtänden auch
gethan haben würden, ſo ſah man ſie doch jetzt
ſtillſchweigend darum an und Niemand wollte
zwiſchen ihnen eingeklemmt ſein mit dem geſchmä¬
lerten Waiſenfelde. Die meiſten Menſchen ſind
fähig oder bereit, ein in den Lüften umgehendes
Unrecht zu verüben, wenn ſie mit der Naſe dar¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/238>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.