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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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in Unschuld und Bescheidenheit. Als der Alte
ihn mit der verlegenen Unverschämtheit der Zer¬
fahrenen ansah und sagte: So wirst Du also
mein Sohn sein? schlug der Junge die Augen
nieder und sagte: Ja, und Ihr seid also mein
Vater? Es freut mich, Euch endlich zu sehen!
Dann schaute er neugierig empor und betrachtete
gutmüthig den Alten; als dieser aber ihm nun
die Hand gab und die seinige mit einem prah¬
lerischen Druck schüttelte, um ihm seine große
Kraft und Gewalt anzukünden, erwiederte der
Sohn unverweilt diesen Druck, so daß die Ge¬
walt wie ein Blitz in den Arm des Alten zu¬
rückströmte und den ganzen Mann gelinde er¬
schütterte. Als aber vollends der Junge nun
mit ruhigem Anstand den Alten zu seinem Stuhle
zurückführte und ihn mit freundlicher Bestimmt¬
heit zu sitzen nöthigte, da ward es dem Zurück¬
gekehrten ganz wunderlich zu Muth, ein solch
wohlgerathenes Ebenbild vor sich zu sehen, das
er selbst und doch wieder ganz ein anderer war.
Frau Regula sprach beinahe kein Wort und er¬
griff den klugen Ausweg, den Mann auf seine
Weise zu ehren, indem sie ihn reichlich bewirthete

in Unſchuld und Beſcheidenheit. Als der Alte
ihn mit der verlegenen Unverſchämtheit der Zer¬
fahrenen anſah und ſagte: So wirſt Du alſo
mein Sohn ſein? ſchlug der Junge die Augen
nieder und ſagte: Ja, und Ihr ſeid alſo mein
Vater? Es freut mich, Euch endlich zu ſehen!
Dann ſchaute er neugierig empor und betrachtete
gutmüthig den Alten; als dieſer aber ihm nun
die Hand gab und die ſeinige mit einem prah¬
leriſchen Druck ſchüttelte, um ihm ſeine große
Kraft und Gewalt anzukünden, erwiederte der
Sohn unverweilt dieſen Druck, ſo daß die Ge¬
walt wie ein Blitz in den Arm des Alten zu¬
rückſtrömte und den ganzen Mann gelinde er¬
ſchütterte. Als aber vollends der Junge nun
mit ruhigem Anſtand den Alten zu ſeinem Stuhle
zurückführte und ihn mit freundlicher Beſtimmt¬
heit zu ſitzen nöthigte, da ward es dem Zurück¬
gekehrten ganz wunderlich zu Muth, ein ſolch
wohlgerathenes Ebenbild vor ſich zu ſehen, das
er ſelbſt und doch wieder ganz ein anderer war.
Frau Regula ſprach beinahe kein Wort und er¬
griff den klugen Ausweg, den Mann auf ſeine
Weiſe zu ehren, indem ſie ihn reichlich bewirthete

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[202/0214] in Unſchuld und Beſcheidenheit. Als der Alte ihn mit der verlegenen Unverſchämtheit der Zer¬ fahrenen anſah und ſagte: So wirſt Du alſo mein Sohn ſein? ſchlug der Junge die Augen nieder und ſagte: Ja, und Ihr ſeid alſo mein Vater? Es freut mich, Euch endlich zu ſehen! Dann ſchaute er neugierig empor und betrachtete gutmüthig den Alten; als dieſer aber ihm nun die Hand gab und die ſeinige mit einem prah¬ leriſchen Druck ſchüttelte, um ihm ſeine große Kraft und Gewalt anzukünden, erwiederte der Sohn unverweilt dieſen Druck, ſo daß die Ge¬ walt wie ein Blitz in den Arm des Alten zu¬ rückſtrömte und den ganzen Mann gelinde er¬ ſchütterte. Als aber vollends der Junge nun mit ruhigem Anſtand den Alten zu ſeinem Stuhle zurückführte und ihn mit freundlicher Beſtimmt¬ heit zu ſitzen nöthigte, da ward es dem Zurück¬ gekehrten ganz wunderlich zu Muth, ein ſolch wohlgerathenes Ebenbild vor ſich zu ſehen, das er ſelbſt und doch wieder ganz ein anderer war. Frau Regula ſprach beinahe kein Wort und er¬ griff den klugen Ausweg, den Mann auf ſeine Weiſe zu ehren, indem ſie ihn reichlich bewirthete

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/214>, abgerufen am 23.11.2024.