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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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dahergefahren, als ob er uns in Gnaden auf¬
fressen wollte! Fremd und wild sieht er aus,
aber er ist der Alte, das hab' ich gleich gesehen."
Fritz war aber jetzt doch neugierig und ging
festen Schrittes die Treppe hinauf und auf die
Wohnstube zu, während die Mutter in die Küche
huschte und auf einem andern Wege fast gleich¬
zeitig in die Stube trat; denn das dünkte sie
nun der beste Lohn und Triumph für alle Müh¬
sal, zu sehen, wie ihrem Manne der eigne Sohn,
den sie erzogen, entgegentrat. Als Fritz die
Thür öffnete und eintrat, sah er einen großen
schweren Mann am Tische sitzen, der ihm wohl
er selbst zu sein schien, wenn er zwanzig Jahre
älter wäre. Der Fremde war fein aber unor¬
dentlich gekleidet, hatte etwas Ruhigtrotziges in
seinem Wesen und doch etwas Unstätes in sei¬
nem Blicke, als er jetzt aufstand und ganz er¬
schrocken sein junges Ebenbild eintreten sah, hoch
aufgerichtet und nicht um eine Linie kürzer, als
er selbst. Aber um das Haupt des Jungen
wehten starke goldne Locken, und während sein
Angesicht eben so ruhig trotzig drein sah, wie
das des Alten, erröthete er bei aller Kraft doch

dahergefahren, als ob er uns in Gnaden auf¬
freſſen wollte! Fremd und wild ſieht er aus,
aber er iſt der Alte, das hab' ich gleich geſehen.«
Fritz war aber jetzt doch neugierig und ging
feſten Schrittes die Treppe hinauf und auf die
Wohnſtube zu, während die Mutter in die Küche
huſchte und auf einem andern Wege faſt gleich¬
zeitig in die Stube trat; denn das dünkte ſie
nun der beſte Lohn und Triumph für alle Müh¬
ſal, zu ſehen, wie ihrem Manne der eigne Sohn,
den ſie erzogen, entgegentrat. Als Fritz die
Thür öffnete und eintrat, ſah er einen großen
ſchweren Mann am Tiſche ſitzen, der ihm wohl
er ſelbſt zu ſein ſchien, wenn er zwanzig Jahre
älter wäre. Der Fremde war fein aber unor¬
dentlich gekleidet, hatte etwas Ruhigtrotziges in
ſeinem Weſen und doch etwas Unſtätes in ſei¬
nem Blicke, als er jetzt aufſtand und ganz er¬
ſchrocken ſein junges Ebenbild eintreten ſah, hoch
aufgerichtet und nicht um eine Linie kürzer, als
er ſelbſt. Aber um das Haupt des Jungen
wehten ſtarke goldne Locken, und während ſein
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[201/0213] dahergefahren, als ob er uns in Gnaden auf¬ freſſen wollte! Fremd und wild ſieht er aus, aber er iſt der Alte, das hab' ich gleich geſehen.« Fritz war aber jetzt doch neugierig und ging feſten Schrittes die Treppe hinauf und auf die Wohnſtube zu, während die Mutter in die Küche huſchte und auf einem andern Wege faſt gleich¬ zeitig in die Stube trat; denn das dünkte ſie nun der beſte Lohn und Triumph für alle Müh¬ ſal, zu ſehen, wie ihrem Manne der eigne Sohn, den ſie erzogen, entgegentrat. Als Fritz die Thür öffnete und eintrat, ſah er einen großen ſchweren Mann am Tiſche ſitzen, der ihm wohl er ſelbſt zu ſein ſchien, wenn er zwanzig Jahre älter wäre. Der Fremde war fein aber unor¬ dentlich gekleidet, hatte etwas Ruhigtrotziges in ſeinem Weſen und doch etwas Unſtätes in ſei¬ nem Blicke, als er jetzt aufſtand und ganz er¬ ſchrocken ſein junges Ebenbild eintreten ſah, hoch aufgerichtet und nicht um eine Linie kürzer, als er ſelbſt. Aber um das Haupt des Jungen wehten ſtarke goldne Locken, und während ſein Angeſicht eben ſo ruhig trotzig drein ſah, wie das des Alten, erröthete er bei aller Kraft doch

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/213>, abgerufen am 28.04.2024.