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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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seine Mutter entgegen, fiel ihm weinend um den
Hals und sagte nichts, als: Dein Vater ist
wiedergekommen! Da sie aber sah, daß ihn die¬
ser Bericht noch verlegener und ungewisser machte,
als sie selbst war, faßte sie sich, nachdem sie den
Sohn an sich gedrückt, und sagte: Nun, er soll
uns nichts anhaben! Sei nur freundlich gegen
ihn, wie es einem Kinde zukommt! So hatten
sich in der That die Dinge abermals verändert;
noch vor wenig Augenblicken, da er auf der
Straße ging, schien es ihm höchst bedenklich, sich
eine ganze Stadt verfeindet zu wissen, und jetzt,
was war dies Bedenken gegen die Lage, urplötz¬
lich sich einem Vater gegenüber zu sehen, den er
nie gekannt, von dem er nur wußte, daß er ein
eitler, wilder und leichtsinniger Mann war, der
zudem die ganze Welt durchzogen während zwan¬
zig Jahren und nun weiß der Himmel welch'
ein fremdartiger und erschrecklicher Cumpan sein
mochte. "Wo kommt er denn her? was will er,
wie sieht er denn aus, was will er denn? sagte
Fritz, und die Mutter erwiederte: "Er scheint
irgend ein Glück gemacht und was erschnappt
zu haben und nun kommt er mit Geberden

ſeine Mutter entgegen, fiel ihm weinend um den
Hals und ſagte nichts, als: Dein Vater iſt
wiedergekommen! Da ſie aber ſah, daß ihn die¬
ſer Bericht noch verlegener und ungewiſſer machte,
als ſie ſelbſt war, faßte ſie ſich, nachdem ſie den
Sohn an ſich gedrückt, und ſagte: Nun, er ſoll
uns nichts anhaben! Sei nur freundlich gegen
ihn, wie es einem Kinde zukommt! So hatten
ſich in der That die Dinge abermals verändert;
noch vor wenig Augenblicken, da er auf der
Straße ging, ſchien es ihm höchſt bedenklich, ſich
eine ganze Stadt verfeindet zu wiſſen, und jetzt,
was war dies Bedenken gegen die Lage, urplötz¬
lich ſich einem Vater gegenüber zu ſehen, den er
nie gekannt, von dem er nur wußte, daß er ein
eitler, wilder und leichtſinniger Mann war, der
zudem die ganze Welt durchzogen während zwan¬
zig Jahren und nun weiß der Himmel welch'
ein fremdartiger und erſchrecklicher Cumpan ſein
mochte. »Wo kommt er denn her? was will er,
wie ſieht er denn aus, was will er denn? ſagte
Fritz, und die Mutter erwiederte: »Er ſcheint
irgend ein Glück gemacht und was erſchnappt
zu haben und nun kommt er mit Geberden

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[200/0212] ſeine Mutter entgegen, fiel ihm weinend um den Hals und ſagte nichts, als: Dein Vater iſt wiedergekommen! Da ſie aber ſah, daß ihn die¬ ſer Bericht noch verlegener und ungewiſſer machte, als ſie ſelbſt war, faßte ſie ſich, nachdem ſie den Sohn an ſich gedrückt, und ſagte: Nun, er ſoll uns nichts anhaben! Sei nur freundlich gegen ihn, wie es einem Kinde zukommt! So hatten ſich in der That die Dinge abermals verändert; noch vor wenig Augenblicken, da er auf der Straße ging, ſchien es ihm höchſt bedenklich, ſich eine ganze Stadt verfeindet zu wiſſen, und jetzt, was war dies Bedenken gegen die Lage, urplötz¬ lich ſich einem Vater gegenüber zu ſehen, den er nie gekannt, von dem er nur wußte, daß er ein eitler, wilder und leichtſinniger Mann war, der zudem die ganze Welt durchzogen während zwan¬ zig Jahren und nun weiß der Himmel welch' ein fremdartiger und erſchrecklicher Cumpan ſein mochte. »Wo kommt er denn her? was will er, wie ſieht er denn aus, was will er denn? ſagte Fritz, und die Mutter erwiederte: »Er ſcheint irgend ein Glück gemacht und was erſchnappt zu haben und nun kommt er mit Geberden

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/212>, abgerufen am 23.11.2024.