Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

der Welt etwas Gutes zu und weiß mannhaft
von nichts Anderem, als daß man hiefür einzu¬
stehen vermöge, während der Unfreisinn oder
der Konservatismus auf Zaghaftigkeit und Be¬
schränktheit gegründet ist. Diese lassen sich aber
schwer mit wahrer Männlichkeit vereinigen. Vor
tausend Jahren begann die Zeit, da nur derje¬
nige für einen vollkommenen Helden und Rit¬
tersmann galt, der zugleich ein frommer Christ
war; denn im Christenthum lag damals die
Menschlichkeit und Aufklärung. Heute kann man
sagen: sei Einer so tapfer und resolut, als er
wolle, wenn er nicht vermag freisinnig zu sein,
so ist er kein ganzer Mann. Und die Frau
Regula hatte, nachdem sie sich einmal an ihrem
Eheherren so getäuscht, zu strenge Regeln in
ihrem Geschmack betreffs der Mannestugend an¬
genommen, als daß sie eine feste und sichere
Freisinnigkeit daran vermissen wollte. Übrigens,
als ihr Mann um sie geworben, hatte er in
allem Flor eines jugendlichen Radikalismus ge¬
glänzt, welchen er freilich mehr in der Weise
handhabte, wie ein Lehrling die erste silberne
Sackuhr.

der Welt etwas Gutes zu und weiß mannhaft
von nichts Anderem, als daß man hiefür einzu¬
ſtehen vermöge, während der Unfreiſinn oder
der Konſervatismus auf Zaghaftigkeit und Be¬
ſchränktheit gegründet iſt. Dieſe laſſen ſich aber
ſchwer mit wahrer Männlichkeit vereinigen. Vor
tauſend Jahren begann die Zeit, da nur derje¬
nige für einen vollkommenen Helden und Rit¬
tersmann galt, der zugleich ein frommer Chriſt
war; denn im Chriſtenthum lag damals die
Menſchlichkeit und Aufklärung. Heute kann man
ſagen: ſei Einer ſo tapfer und reſolut, als er
wolle, wenn er nicht vermag freiſinnig zu ſein,
ſo iſt er kein ganzer Mann. Und die Frau
Regula hatte, nachdem ſie ſich einmal an ihrem
Eheherren ſo getäuſcht, zu ſtrenge Regeln in
ihrem Geſchmack betreffs der Mannestugend an¬
genommen, als daß ſie eine feſte und ſichere
Freiſinnigkeit daran vermiſſen wollte. Übrigens,
als ihr Mann um ſie geworben, hatte er in
allem Flor eines jugendlichen Radikalismus ge¬
glänzt, welchen er freilich mehr in der Weiſe
handhabte, wie ein Lehrling die erſte ſilberne
Sackuhr.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0168" n="156"/>
der Welt etwas Gutes zu und weiß mannhaft<lb/>
von nichts Anderem, als daß man hiefür einzu¬<lb/>
&#x017F;tehen vermöge, während der Unfrei&#x017F;inn oder<lb/>
der Kon&#x017F;ervatismus auf Zaghaftigkeit und Be¬<lb/>
&#x017F;chränktheit gegründet i&#x017F;t. Die&#x017F;e la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich aber<lb/>
&#x017F;chwer mit wahrer Männlichkeit vereinigen. Vor<lb/>
tau&#x017F;end Jahren begann die Zeit, da nur derje¬<lb/>
nige für einen vollkommenen Helden und Rit¬<lb/>
tersmann galt, der zugleich ein frommer Chri&#x017F;t<lb/>
war; denn im Chri&#x017F;tenthum lag damals die<lb/>
Men&#x017F;chlichkeit und Aufklärung. Heute kann man<lb/>
&#x017F;agen: &#x017F;ei Einer &#x017F;o tapfer und re&#x017F;olut, als er<lb/>
wolle, wenn er nicht vermag frei&#x017F;innig zu &#x017F;ein,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t er kein ganzer Mann. Und die Frau<lb/>
Regula hatte, nachdem &#x017F;ie &#x017F;ich einmal an ihrem<lb/>
Eheherren &#x017F;o getäu&#x017F;cht, zu &#x017F;trenge Regeln in<lb/>
ihrem Ge&#x017F;chmack betreffs der Mannestugend an¬<lb/>
genommen, als daß &#x017F;ie eine fe&#x017F;te und &#x017F;ichere<lb/>
Frei&#x017F;innigkeit daran vermi&#x017F;&#x017F;en wollte. Übrigens,<lb/>
als ihr Mann um &#x017F;ie geworben, hatte er in<lb/>
allem Flor eines jugendlichen Radikalismus ge¬<lb/>
glänzt, welchen er freilich mehr in der Wei&#x017F;e<lb/>
handhabte, wie ein Lehrling die er&#x017F;te &#x017F;ilberne<lb/>
Sackuhr.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0168] der Welt etwas Gutes zu und weiß mannhaft von nichts Anderem, als daß man hiefür einzu¬ ſtehen vermöge, während der Unfreiſinn oder der Konſervatismus auf Zaghaftigkeit und Be¬ ſchränktheit gegründet iſt. Dieſe laſſen ſich aber ſchwer mit wahrer Männlichkeit vereinigen. Vor tauſend Jahren begann die Zeit, da nur derje¬ nige für einen vollkommenen Helden und Rit¬ tersmann galt, der zugleich ein frommer Chriſt war; denn im Chriſtenthum lag damals die Menſchlichkeit und Aufklärung. Heute kann man ſagen: ſei Einer ſo tapfer und reſolut, als er wolle, wenn er nicht vermag freiſinnig zu ſein, ſo iſt er kein ganzer Mann. Und die Frau Regula hatte, nachdem ſie ſich einmal an ihrem Eheherren ſo getäuſcht, zu ſtrenge Regeln in ihrem Geſchmack betreffs der Mannestugend an¬ genommen, als daß ſie eine feſte und ſichere Freiſinnigkeit daran vermiſſen wollte. Übrigens, als ihr Mann um ſie geworben, hatte er in allem Flor eines jugendlichen Radikalismus ge¬ glänzt, welchen er freilich mehr in der Weiſe handhabte, wie ein Lehrling die erſte ſilberne Sackuhr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/168
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/168>, abgerufen am 28.11.2024.