Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

wöhnen können, da alles Sinnen und Trachten
des Hauses nach dem Essen gerichtet ist.

Besonders während der kleineren Jugend des
Knaben war die Erziehungsmühe seiner Mutter
sehr gering, da sie, wie gesagt, weniger mit der
Zunge, als mit ihrer ganzen Person erzog, wie
sie leibte und lebte und es also in Einem zu
ging mit ihrem sonstigen Dasein. Sollte man
fragen, worin denn bei dieser leichten Art und
Mühelosigkeit ihre besondere Treue und ihr Vorsatz
bestand? so wäre zu antworten: lediglich in der
zugewandten Liebe, mit welcher sich das Wesen
ihrer Person dem seinigen einprägte und sie ihre
Instinkte die seinigen werden ließ.

Doch blieb die Zeit nicht aus, wo sie aller¬
dings einige vorsätzliche und kräftige Erziehungs¬
maßregeln anwenden mußte, und das war die
Zeit, wo der gute Fritz herangewachsen war und
sich für allbereits erzogen hielt, wo aber die
Mutter erst recht auf der Wacht stand, da es
sich nun entscheiden mußte, ob er in das gute
oder schlechte Fahrwasser einlaufen würde. Es
waren nur wenige Momente, wo sie etwas
Entscheidendes und Energisches gegen seine junge

wöhnen können, da alles Sinnen und Trachten
des Hauſes nach dem Eſſen gerichtet iſt.

Beſonders während der kleineren Jugend des
Knaben war die Erziehungsmühe ſeiner Mutter
ſehr gering, da ſie, wie geſagt, weniger mit der
Zunge, als mit ihrer ganzen Perſon erzog, wie
ſie leibte und lebte und es alſo in Einem zu
ging mit ihrem ſonſtigen Daſein. Sollte man
fragen, worin denn bei dieſer leichten Art und
Müheloſigkeit ihre beſondere Treue und ihr Vorſatz
beſtand? ſo wäre zu antworten: lediglich in der
zugewandten Liebe, mit welcher ſich das Weſen
ihrer Perſon dem ſeinigen einprägte und ſie ihre
Inſtinkte die ſeinigen werden ließ.

Doch blieb die Zeit nicht aus, wo ſie aller¬
dings einige vorſätzliche und kräftige Erziehungs¬
maßregeln anwenden mußte, und das war die
Zeit, wo der gute Fritz herangewachſen war und
ſich für allbereits erzogen hielt, wo aber die
Mutter erſt recht auf der Wacht ſtand, da es
ſich nun entſcheiden mußte, ob er in das gute
oder ſchlechte Fahrwaſſer einlaufen würde. Es
waren nur wenige Momente, wo ſie etwas
Entſcheidendes und Energiſches gegen ſeine junge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0147" n="135"/>
wöhnen können, da alles Sinnen und Trachten<lb/>
des Hau&#x017F;es nach dem E&#x017F;&#x017F;en gerichtet i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Be&#x017F;onders während der kleineren Jugend des<lb/>
Knaben war die Erziehungsmühe &#x017F;einer Mutter<lb/>
&#x017F;ehr gering, da &#x017F;ie, wie ge&#x017F;agt, weniger mit der<lb/>
Zunge, als mit ihrer ganzen Per&#x017F;on erzog, wie<lb/>
&#x017F;ie leibte und lebte und es al&#x017F;o in Einem zu<lb/>
ging mit ihrem &#x017F;on&#x017F;tigen Da&#x017F;ein. Sollte man<lb/>
fragen, worin denn bei die&#x017F;er leichten Art und<lb/>
Mühelo&#x017F;igkeit ihre be&#x017F;ondere Treue und ihr Vor&#x017F;atz<lb/>
be&#x017F;tand? &#x017F;o wäre zu antworten: lediglich in der<lb/>
zugewandten Liebe, mit welcher &#x017F;ich das We&#x017F;en<lb/>
ihrer Per&#x017F;on dem &#x017F;einigen einprägte und &#x017F;ie ihre<lb/>
In&#x017F;tinkte die &#x017F;einigen werden ließ.</p><lb/>
        <p>Doch blieb die Zeit nicht aus, wo &#x017F;ie aller¬<lb/>
dings einige vor&#x017F;ätzliche und kräftige Erziehungs¬<lb/>
maßregeln anwenden mußte, und das war die<lb/>
Zeit, wo der gute Fritz herangewach&#x017F;en war und<lb/>
&#x017F;ich für allbereits erzogen hielt, wo aber die<lb/>
Mutter er&#x017F;t recht auf der Wacht &#x017F;tand, da es<lb/>
&#x017F;ich nun ent&#x017F;cheiden mußte, ob er in das gute<lb/>
oder &#x017F;chlechte Fahrwa&#x017F;&#x017F;er einlaufen würde. Es<lb/>
waren nur wenige Momente, wo &#x017F;ie etwas<lb/>
Ent&#x017F;cheidendes und Energi&#x017F;ches gegen &#x017F;eine junge<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0147] wöhnen können, da alles Sinnen und Trachten des Hauſes nach dem Eſſen gerichtet iſt. Beſonders während der kleineren Jugend des Knaben war die Erziehungsmühe ſeiner Mutter ſehr gering, da ſie, wie geſagt, weniger mit der Zunge, als mit ihrer ganzen Perſon erzog, wie ſie leibte und lebte und es alſo in Einem zu ging mit ihrem ſonſtigen Daſein. Sollte man fragen, worin denn bei dieſer leichten Art und Müheloſigkeit ihre beſondere Treue und ihr Vorſatz beſtand? ſo wäre zu antworten: lediglich in der zugewandten Liebe, mit welcher ſich das Weſen ihrer Perſon dem ſeinigen einprägte und ſie ihre Inſtinkte die ſeinigen werden ließ. Doch blieb die Zeit nicht aus, wo ſie aller¬ dings einige vorſätzliche und kräftige Erziehungs¬ maßregeln anwenden mußte, und das war die Zeit, wo der gute Fritz herangewachſen war und ſich für allbereits erzogen hielt, wo aber die Mutter erſt recht auf der Wacht ſtand, da es ſich nun entſcheiden mußte, ob er in das gute oder ſchlechte Fahrwaſſer einlaufen würde. Es waren nur wenige Momente, wo ſie etwas Entſcheidendes und Energiſches gegen ſeine junge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/147
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/147>, abgerufen am 04.12.2024.