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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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in das Behältniß legen, und sobald er nur im
Stande war, die Münzen zu unterscheiden, ließ
sie ihm eine kleine Sparbüchse zu gänzlich freier
Verfügung. Wenn er nun eine Dummheit machte
oder eine arge Nascherei beging, so behandelte
sie das nicht wie ein Criminalverbrechen, sondern
wies ihm mit wenig Worten die Lächerlichkeit
und Unzweckmäßigkeit nach. Wenn er etwas
entwendete oder sich aneignete was ihm nicht
zukam, oder einen jener heimlichen Ankäufe machte,
welche die Eltern so sehr erschrecken, machte sie
keine Katastrophe daraus, sondern beschämte ihn
einfach und offen als einen thörichten und gedan¬
kenlosen Burschen. Desto strenger war sie gegen
ihn, wenn er in Worten oder Geberden sich
unedel und kleinlich betrug, was zwar nur selten
vorkam; aber dann las sie ihm hart und scho¬
nungslos den Text und gab ihm so derbe Ohr¬
feigen, daß er die leidige Begebenheit nie vergaß.
Dies Alles pflegt sonst entgegengesetzt behandelt
zu werden. Wenn ein Kind mit Geld sich ver¬
geht oder gar etwas irgendwo wegnimmt, so
befällt die Ältern und Lehrer eine ganz sonder¬
bare Furcht vor einer verbrecherischen Zukunft,

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in das Behältniß legen, und ſobald er nur im
Stande war, die Münzen zu unterſcheiden, ließ
ſie ihm eine kleine Sparbüchſe zu gänzlich freier
Verfügung. Wenn er nun eine Dummheit machte
oder eine arge Naſcherei beging, ſo behandelte
ſie das nicht wie ein Criminalverbrechen, ſondern
wies ihm mit wenig Worten die Lächerlichkeit
und Unzweckmäßigkeit nach. Wenn er etwas
entwendete oder ſich aneignete was ihm nicht
zukam, oder einen jener heimlichen Ankäufe machte,
welche die Eltern ſo ſehr erſchrecken, machte ſie
keine Kataſtrophe daraus, ſondern beſchämte ihn
einfach und offen als einen thörichten und gedan¬
kenloſen Burſchen. Deſto ſtrenger war ſie gegen
ihn, wenn er in Worten oder Geberden ſich
unedel und kleinlich betrug, was zwar nur ſelten
vorkam; aber dann las ſie ihm hart und ſcho¬
nungslos den Text und gab ihm ſo derbe Ohr¬
feigen, daß er die leidige Begebenheit nie vergaß.
Dies Alles pflegt ſonſt entgegengeſetzt behandelt
zu werden. Wenn ein Kind mit Geld ſich ver¬
geht oder gar etwas irgendwo wegnimmt, ſo
befällt die Ältern und Lehrer eine ganz ſonder¬
bare Furcht vor einer verbrecheriſchen Zukunft,

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[131/0143] in das Behältniß legen, und ſobald er nur im Stande war, die Münzen zu unterſcheiden, ließ ſie ihm eine kleine Sparbüchſe zu gänzlich freier Verfügung. Wenn er nun eine Dummheit machte oder eine arge Naſcherei beging, ſo behandelte ſie das nicht wie ein Criminalverbrechen, ſondern wies ihm mit wenig Worten die Lächerlichkeit und Unzweckmäßigkeit nach. Wenn er etwas entwendete oder ſich aneignete was ihm nicht zukam, oder einen jener heimlichen Ankäufe machte, welche die Eltern ſo ſehr erſchrecken, machte ſie keine Kataſtrophe daraus, ſondern beſchämte ihn einfach und offen als einen thörichten und gedan¬ kenloſen Burſchen. Deſto ſtrenger war ſie gegen ihn, wenn er in Worten oder Geberden ſich unedel und kleinlich betrug, was zwar nur ſelten vorkam; aber dann las ſie ihm hart und ſcho¬ nungslos den Text und gab ihm ſo derbe Ohr¬ feigen, daß er die leidige Begebenheit nie vergaß. Dies Alles pflegt ſonſt entgegengeſetzt behandelt zu werden. Wenn ein Kind mit Geld ſich ver¬ geht oder gar etwas irgendwo wegnimmt, ſo befällt die Ältern und Lehrer eine ganz ſonder¬ bare Furcht vor einer verbrecheriſchen Zukunft, 9 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/143>, abgerufen am 04.12.2024.