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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und, wenn er satt war, nicht von Neuem an
etwas unerhört Gutes zu denken. Nur die
entsetzliche Wichtigthuerei und Breitspurigkeit, mit
welcher die meisten guten Frauen die Lebens¬
mittel und deren Bereitung behandeln, erweckt
gewöhnlich in den Kindern jene Gelüstigkeit und
Tellerleckerei, die, wenn sie groß werden, zum
Hang nach Wohlleben und zur Verschwendung
wird. Sonderbarer Weise gilt durch den ganzen
germanischen Völkerstrich diejenige für die beste
und tugendhafteste Hausfrau, welche am meisten
Geräusch macht mit ihren Schüsseln und Pfannen
und nie zu sehen ist, ohne daß sie etwas Eßbares
zwischen den Fingern herumzerrt; was Wunder,
daß die Herren Germanen dabei die größten
Esser werden, das ganze Lebensglück auf eine
wohlbestellte Küche gegründet wird und man
ganz vergißt, welche Nebensache eigentlich das
Essen auf dieser schnellen Lebensfahrt sei. Ebenso
verfuhr sie mit dem, was sonst von den Ältern
mit einer schrecklich ungeschickten Heiligkeit be¬
handelt wird, mit dem Gelde. Sobald als
thunlich ließ sie ihren Sohn ihren Vermögens¬
stand mitwissen, für sie Geldsummen zählen und

und, wenn er ſatt war, nicht von Neuem an
etwas unerhört Gutes zu denken. Nur die
entſetzliche Wichtigthuerei und Breitſpurigkeit, mit
welcher die meiſten guten Frauen die Lebens¬
mittel und deren Bereitung behandeln, erweckt
gewöhnlich in den Kindern jene Gelüſtigkeit und
Tellerleckerei, die, wenn ſie groß werden, zum
Hang nach Wohlleben und zur Verſchwendung
wird. Sonderbarer Weiſe gilt durch den ganzen
germaniſchen Völkerſtrich diejenige für die beſte
und tugendhafteſte Hausfrau, welche am meiſten
Geräuſch macht mit ihren Schüſſeln und Pfannen
und nie zu ſehen iſt, ohne daß ſie etwas Eßbares
zwiſchen den Fingern herumzerrt; was Wunder,
daß die Herren Germanen dabei die größten
Eſſer werden, das ganze Lebensglück auf eine
wohlbeſtellte Küche gegründet wird und man
ganz vergißt, welche Nebenſache eigentlich das
Eſſen auf dieſer ſchnellen Lebensfahrt ſei. Ebenſo
verfuhr ſie mit dem, was ſonſt von den Ältern
mit einer ſchrecklich ungeſchickten Heiligkeit be¬
handelt wird, mit dem Gelde. Sobald als
thunlich ließ ſie ihren Sohn ihren Vermögens¬
ſtand mitwiſſen, für ſie Geldſummen zählen und

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[130/0142] und, wenn er ſatt war, nicht von Neuem an etwas unerhört Gutes zu denken. Nur die entſetzliche Wichtigthuerei und Breitſpurigkeit, mit welcher die meiſten guten Frauen die Lebens¬ mittel und deren Bereitung behandeln, erweckt gewöhnlich in den Kindern jene Gelüſtigkeit und Tellerleckerei, die, wenn ſie groß werden, zum Hang nach Wohlleben und zur Verſchwendung wird. Sonderbarer Weiſe gilt durch den ganzen germaniſchen Völkerſtrich diejenige für die beſte und tugendhafteſte Hausfrau, welche am meiſten Geräuſch macht mit ihren Schüſſeln und Pfannen und nie zu ſehen iſt, ohne daß ſie etwas Eßbares zwiſchen den Fingern herumzerrt; was Wunder, daß die Herren Germanen dabei die größten Eſſer werden, das ganze Lebensglück auf eine wohlbeſtellte Küche gegründet wird und man ganz vergißt, welche Nebenſache eigentlich das Eſſen auf dieſer ſchnellen Lebensfahrt ſei. Ebenſo verfuhr ſie mit dem, was ſonſt von den Ältern mit einer ſchrecklich ungeſchickten Heiligkeit be¬ handelt wird, mit dem Gelde. Sobald als thunlich ließ ſie ihren Sohn ihren Vermögens¬ ſtand mitwiſſen, für ſie Geldſummen zählen und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/142>, abgerufen am 04.12.2024.