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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Jahren von ihrem Manne verlassen und ihr
Blut floß so rasch und warm, wie eines; was
Wunder, daß sie daher endlich einen Augenblick
inne hielt und tief aufseuzte, und daß ihr in
diesem Augenblick der Zweifel durch den Kopf
ging, ob es sich auch der Mühe lohne, so treu
und ausdauernd in Entbehrung und Arbeit zu
sein, und ob nicht das eigene Leben am Ende
die Hauptsache und es klüger sei, zu thun wie
die andern und, nicht dem verwegenen und fre¬
chen Andringling, sondern sich selbst zu gewähren,
was ihr Lust und Erfrischung bieten könne; die
Dinge gingen zu Seldwyla vielleicht so oder so
ihren Weg! Indem sie einen Augenblick dies
bedachte, zitterten ihre Hände in denjenigen des
Werkführers und nicht sobald fühlte dieser solche
liebliche Änderung des Wetters, als er seine
Anstrengungen erneuerte und vielleicht trotz der
erneueten Gegenwehr der tapfern Frau gesiegt
haben würde, wenn nicht jetzt eine unerwartete
Hülfe erschienen wäre.

Denn mit dem bangen zornigen Ausruf:
Mutter! Es ist ein Dieb da! sprang der jüngste
Knabe, der kleine Fritzchen, in die Stube und

Jahren von ihrem Manne verlaſſen und ihr
Blut floß ſo raſch und warm, wie eines; was
Wunder, daß ſie daher endlich einen Augenblick
inne hielt und tief aufſeuzte, und daß ihr in
dieſem Augenblick der Zweifel durch den Kopf
ging, ob es ſich auch der Mühe lohne, ſo treu
und ausdauernd in Entbehrung und Arbeit zu
ſein, und ob nicht das eigene Leben am Ende
die Hauptſache und es klüger ſei, zu thun wie
die andern und, nicht dem verwegenen und fre¬
chen Andringling, ſondern ſich ſelbſt zu gewähren,
was ihr Luſt und Erfriſchung bieten könne; die
Dinge gingen zu Seldwyla vielleicht ſo oder ſo
ihren Weg! Indem ſie einen Augenblick dies
bedachte, zitterten ihre Hände in denjenigen des
Werkführers und nicht ſobald fühlte dieſer ſolche
liebliche Änderung des Wetters, als er ſeine
Anſtrengungen erneuerte und vielleicht trotz der
erneueten Gegenwehr der tapfern Frau geſiegt
haben würde, wenn nicht jetzt eine unerwartete
Hülfe erſchienen wäre.

Denn mit dem bangen zornigen Ausruf:
Mutter! Es iſt ein Dieb da! ſprang der jüngſte
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[124/0136] Jahren von ihrem Manne verlaſſen und ihr Blut floß ſo raſch und warm, wie eines; was Wunder, daß ſie daher endlich einen Augenblick inne hielt und tief aufſeuzte, und daß ihr in dieſem Augenblick der Zweifel durch den Kopf ging, ob es ſich auch der Mühe lohne, ſo treu und ausdauernd in Entbehrung und Arbeit zu ſein, und ob nicht das eigene Leben am Ende die Hauptſache und es klüger ſei, zu thun wie die andern und, nicht dem verwegenen und fre¬ chen Andringling, ſondern ſich ſelbſt zu gewähren, was ihr Luſt und Erfriſchung bieten könne; die Dinge gingen zu Seldwyla vielleicht ſo oder ſo ihren Weg! Indem ſie einen Augenblick dies bedachte, zitterten ihre Hände in denjenigen des Werkführers und nicht ſobald fühlte dieſer ſolche liebliche Änderung des Wetters, als er ſeine Anſtrengungen erneuerte und vielleicht trotz der erneueten Gegenwehr der tapfern Frau geſiegt haben würde, wenn nicht jetzt eine unerwartete Hülfe erſchienen wäre. Denn mit dem bangen zornigen Ausruf: Mutter! Es iſt ein Dieb da! ſprang der jüngſte Knabe, der kleine Fritzchen, in die Stube und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/136>, abgerufen am 04.12.2024.