Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

fester und hielt ihr mit eindringlichen Worten
ihre Jugend und schöne Gestalt vor und ihre
Thorheit, so gute Dinge ungenossen vergehen zu
lassen. Sie durchschaute ihren Feind, dessen
Augen eben so stark von Schlauheit als von
Lebenslust glänzten, wohl und merkte, daß er
auf diesem leidenschaftlich-sinnlichen Wege nur
beabsichtigte, sie sich zu unterwerfen und dienstbar
zu machen, also daß ihre Selbstständigkeit ein
schlimmes Ende nähme. Sie gab ihm dies auch
mit höhnischen Blicken zu verstehen, während sie
fortfuhr, so still als möglich sich von ihm los
zu machen, was er nur mit vermehrter Kraft
und Eindringlichkeit erwiederte. Auf diese Weise
rang sie mit dem starken Gesellen eine gute
Weile hin und her, ohne daß es dem einen
oder andern Theile gelang, weiter zu kommen,
während nur zuweilen der erschütterte Tisch oder
ein unterdrückter zorniger Ausruf oder ein Seufzer
ein Geräusch verursachte, und so schwebte die
brave Frau peinvoll zwischen ihrer in der Kam¬
mer dreifach schlafenden Sorge und zwischen dem
heißen Anstürmen des wachen Lebens. Sie war
kaum dreißig Jahre alt und schon seit einigen

feſter und hielt ihr mit eindringlichen Worten
ihre Jugend und ſchöne Geſtalt vor und ihre
Thorheit, ſo gute Dinge ungenoſſen vergehen zu
laſſen. Sie durchſchaute ihren Feind, deſſen
Augen eben ſo ſtark von Schlauheit als von
Lebensluſt glänzten, wohl und merkte, daß er
auf dieſem leidenſchaftlich-ſinnlichen Wege nur
beabſichtigte, ſie ſich zu unterwerfen und dienſtbar
zu machen, alſo daß ihre Selbſtſtändigkeit ein
ſchlimmes Ende nähme. Sie gab ihm dies auch
mit höhniſchen Blicken zu verſtehen, während ſie
fortfuhr, ſo ſtill als möglich ſich von ihm los
zu machen, was er nur mit vermehrter Kraft
und Eindringlichkeit erwiederte. Auf dieſe Weiſe
rang ſie mit dem ſtarken Geſellen eine gute
Weile hin und her, ohne daß es dem einen
oder andern Theile gelang, weiter zu kommen,
während nur zuweilen der erſchütterte Tiſch oder
ein unterdrückter zorniger Ausruf oder ein Seufzer
ein Geräuſch verurſachte, und ſo ſchwebte die
brave Frau peinvoll zwiſchen ihrer in der Kam¬
mer dreifach ſchlafenden Sorge und zwiſchen dem
heißen Anſtürmen des wachen Lebens. Sie war
kaum dreißig Jahre alt und ſchon ſeit einigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="123"/>
fe&#x017F;ter und hielt ihr mit eindringlichen Worten<lb/>
ihre Jugend und &#x017F;chöne Ge&#x017F;talt vor und ihre<lb/>
Thorheit, &#x017F;o gute Dinge ungeno&#x017F;&#x017F;en vergehen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Sie durch&#x017F;chaute ihren Feind, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Augen eben &#x017F;o &#x017F;tark von Schlauheit als von<lb/>
Lebenslu&#x017F;t glänzten, wohl und merkte, daß er<lb/>
auf die&#x017F;em leiden&#x017F;chaftlich-&#x017F;innlichen Wege nur<lb/>
beab&#x017F;ichtigte, &#x017F;ie &#x017F;ich zu unterwerfen und dien&#x017F;tbar<lb/>
zu machen, al&#x017F;o daß ihre Selb&#x017F;t&#x017F;tändigkeit ein<lb/>
&#x017F;chlimmes Ende nähme. Sie gab ihm dies auch<lb/>
mit höhni&#x017F;chen Blicken zu ver&#x017F;tehen, während &#x017F;ie<lb/>
fortfuhr, &#x017F;o &#x017F;till als möglich &#x017F;ich von ihm los<lb/>
zu machen, was er nur mit vermehrter Kraft<lb/>
und Eindringlichkeit erwiederte. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e<lb/>
rang &#x017F;ie mit dem &#x017F;tarken Ge&#x017F;ellen eine gute<lb/>
Weile hin und her, ohne daß es dem einen<lb/>
oder andern Theile gelang, weiter zu kommen,<lb/>
während nur zuweilen der er&#x017F;chütterte Ti&#x017F;ch oder<lb/>
ein unterdrückter zorniger Ausruf oder ein Seufzer<lb/>
ein Geräu&#x017F;ch verur&#x017F;achte, und &#x017F;o &#x017F;chwebte die<lb/>
brave Frau peinvoll zwi&#x017F;chen ihrer in der Kam¬<lb/>
mer dreifach &#x017F;chlafenden Sorge und zwi&#x017F;chen dem<lb/>
heißen An&#x017F;türmen des wachen Lebens. Sie war<lb/>
kaum dreißig Jahre alt und &#x017F;chon &#x017F;eit einigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0135] feſter und hielt ihr mit eindringlichen Worten ihre Jugend und ſchöne Geſtalt vor und ihre Thorheit, ſo gute Dinge ungenoſſen vergehen zu laſſen. Sie durchſchaute ihren Feind, deſſen Augen eben ſo ſtark von Schlauheit als von Lebensluſt glänzten, wohl und merkte, daß er auf dieſem leidenſchaftlich-ſinnlichen Wege nur beabſichtigte, ſie ſich zu unterwerfen und dienſtbar zu machen, alſo daß ihre Selbſtſtändigkeit ein ſchlimmes Ende nähme. Sie gab ihm dies auch mit höhniſchen Blicken zu verſtehen, während ſie fortfuhr, ſo ſtill als möglich ſich von ihm los zu machen, was er nur mit vermehrter Kraft und Eindringlichkeit erwiederte. Auf dieſe Weiſe rang ſie mit dem ſtarken Geſellen eine gute Weile hin und her, ohne daß es dem einen oder andern Theile gelang, weiter zu kommen, während nur zuweilen der erſchütterte Tiſch oder ein unterdrückter zorniger Ausruf oder ein Seufzer ein Geräuſch verurſachte, und ſo ſchwebte die brave Frau peinvoll zwiſchen ihrer in der Kam¬ mer dreifach ſchlafenden Sorge und zwiſchen dem heißen Anſtürmen des wachen Lebens. Sie war kaum dreißig Jahre alt und ſchon ſeit einigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/135
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/135>, abgerufen am 03.05.2024.