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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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endlich auf und bemerkte, daß seine Zuhörerinnen
schliefen. Zugleich entdeckte er erst jetzt, daß er
denselben eigentlich nichts als eine Liebesgeschichte
erzählt, schämte sich dessen und wünschte, daß sie
gar nichts davon gehört haben möchten. Er
weckte die Frauen auf und hieß sie ins Bett
gehen, und er selbst suchte ebenfalls das Lager
auf, wo er mit einem langen, aber gemüthlichen
Seufzer einschlief. Er lag wohl so lange im
Bette, wie einst, als er der faule und unnütze
Pankräzlein gewesen, so daß ihn die Mutter wie
ehedem wecken mußte. Als sie nun zusammen
beim Frühstück saßen und Kaffee tranken, sagte
er, mit seinem Bericht fortfahrend:

"Wenn Ihr nicht geschlafen hättet, so würdet
Ihr gehört haben, wie ich in Ostindien im Be¬
griffe war, aus einem Murrkopf ein äußerst
zuthunlicher und wohlwollender Mensch zu werden
um eines schönen Frauenzimmers willen, wie
aber eben meine Schmollerei mir einen argen
Streich gespielt hat, da sie mich verhinderte,
besagtes Frauenzimmer näher zu kennen und mich
blindlings in selbe verlieben ließ; wie ich dann
betrogen wurde und als ein neugestählter Schmol¬

endlich auf und bemerkte, daß ſeine Zuhörerinnen
ſchliefen. Zugleich entdeckte er erſt jetzt, daß er
denſelben eigentlich nichts als eine Liebesgeſchichte
erzählt, ſchämte ſich deſſen und wünſchte, daß ſie
gar nichts davon gehört haben möchten. Er
weckte die Frauen auf und hieß ſie ins Bett
gehen, und er ſelbſt ſuchte ebenfalls das Lager
auf, wo er mit einem langen, aber gemüthlichen
Seufzer einſchlief. Er lag wohl ſo lange im
Bette, wie einſt, als er der faule und unnütze
Pankräzlein geweſen, ſo daß ihn die Mutter wie
ehedem wecken mußte. Als ſie nun zuſammen
beim Frühſtück ſaßen und Kaffee tranken, ſagte
er, mit ſeinem Bericht fortfahrend:

»Wenn Ihr nicht geſchlafen hättet, ſo würdet
Ihr gehört haben, wie ich in Oſtindien im Be¬
griffe war, aus einem Murrkopf ein äußerſt
zuthunlicher und wohlwollender Menſch zu werden
um eines ſchönen Frauenzimmers willen, wie
aber eben meine Schmollerei mir einen argen
Streich geſpielt hat, da ſie mich verhinderte,
beſagtes Frauenzimmer näher zu kennen und mich
blindlings in ſelbe verlieben ließ; wie ich dann
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[102/0114] endlich auf und bemerkte, daß ſeine Zuhörerinnen ſchliefen. Zugleich entdeckte er erſt jetzt, daß er denſelben eigentlich nichts als eine Liebesgeſchichte erzählt, ſchämte ſich deſſen und wünſchte, daß ſie gar nichts davon gehört haben möchten. Er weckte die Frauen auf und hieß ſie ins Bett gehen, und er ſelbſt ſuchte ebenfalls das Lager auf, wo er mit einem langen, aber gemüthlichen Seufzer einſchlief. Er lag wohl ſo lange im Bette, wie einſt, als er der faule und unnütze Pankräzlein geweſen, ſo daß ihn die Mutter wie ehedem wecken mußte. Als ſie nun zuſammen beim Frühſtück ſaßen und Kaffee tranken, ſagte er, mit ſeinem Bericht fortfahrend: »Wenn Ihr nicht geſchlafen hättet, ſo würdet Ihr gehört haben, wie ich in Oſtindien im Be¬ griffe war, aus einem Murrkopf ein äußerſt zuthunlicher und wohlwollender Menſch zu werden um eines ſchönen Frauenzimmers willen, wie aber eben meine Schmollerei mir einen argen Streich geſpielt hat, da ſie mich verhinderte, beſagtes Frauenzimmer näher zu kennen und mich blindlings in ſelbe verlieben ließ; wie ich dann betrogen wurde und als ein neugeſtählter Schmol¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/114>, abgerufen am 04.05.2024.