mir zu Muthe, als ob nothwendiger Weise ein weibliches Wesen in der Welt sein müßte, wel¬ ches genau das Äußere und die Manieren dieser Lydia, kurz deren bessere Hälfte besäße, dazu aber auch die entsprechende andere Hälfte, und daß ich nur dann würde zur Ruhe kommen, wenn ich diese ganze Lydia fände; oder es war mir als ob ich verpflichtet wäre, die rechte Seele zu diesem schönen halben Gespenste zu suchen, mit einem Worte, ich wurde abermals krank vor Sehnsucht nach ihr, und da es doch nicht anging, zurückzukehren, suchte ich neue Sonnengluth, Ge¬ fahr und Thätigkeit und nahm Dienste in der französisch-afrikanischen Armee. Ich begab mich sogleich nach Algier und befand mich bald am äußersten Saume der afrikanischen Provinz, wo ich im Sonnenbrand und auf dem glühenden Sande mich herumtummelte und mit den Kabylen herumschlug."
Da in diesem Augenblick das schlafende Estherchen, das immer einen Unfug machen mußte, träumte, es falle eine Treppe hinunter und demgemäß auf seinem Stuhle ein erschrecktes Geräusch erhob, blickte der erzählende Pankrazius
mir zu Muthe, als ob nothwendiger Weiſe ein weibliches Weſen in der Welt ſein müßte, wel¬ ches genau das Äußere und die Manieren dieſer Lydia, kurz deren beſſere Hälfte beſäße, dazu aber auch die entſprechende andere Hälfte, und daß ich nur dann würde zur Ruhe kommen, wenn ich dieſe ganze Lydia fände; oder es war mir als ob ich verpflichtet wäre, die rechte Seele zu dieſem ſchönen halben Geſpenſte zu ſuchen, mit einem Worte, ich wurde abermals krank vor Sehnſucht nach ihr, und da es doch nicht anging, zurückzukehren, ſuchte ich neue Sonnengluth, Ge¬ fahr und Thätigkeit und nahm Dienſte in der franzöſiſch-afrikaniſchen Armee. Ich begab mich ſogleich nach Algier und befand mich bald am äußerſten Saume der afrikaniſchen Provinz, wo ich im Sonnenbrand und auf dem glühenden Sande mich herumtummelte und mit den Kabylen herumſchlug.«
Da in dieſem Augenblick das ſchlafende Eſtherchen, das immer einen Unfug machen mußte, träumte, es falle eine Treppe hinunter und demgemäß auf ſeinem Stuhle ein erſchrecktes Geräuſch erhob, blickte der erzählende Pankrazius
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mir zu Muthe, als ob nothwendiger Weiſe ein
weibliches Weſen in der Welt ſein müßte, wel¬
ches genau das Äußere und die Manieren dieſer
Lydia, kurz deren beſſere Hälfte beſäße, dazu aber
auch die entſprechende andere Hälfte, und daß
ich nur dann würde zur Ruhe kommen, wenn
ich dieſe ganze Lydia fände; oder es war mir
als ob ich verpflichtet wäre, die rechte Seele zu
dieſem ſchönen halben Geſpenſte zu ſuchen, mit
einem Worte, ich wurde abermals krank vor
Sehnſucht nach ihr, und da es doch nicht anging,
zurückzukehren, ſuchte ich neue Sonnengluth, Ge¬
fahr und Thätigkeit und nahm Dienſte in der
franzöſiſch-afrikaniſchen Armee. Ich begab mich
ſogleich nach Algier und befand mich bald am
äußerſten Saume der afrikaniſchen Provinz, wo
ich im Sonnenbrand und auf dem glühenden
Sande mich herumtummelte und mit den Kabylen
herumſchlug.«
Da in dieſem Augenblick das ſchlafende
Eſtherchen, das immer einen Unfug machen
mußte, träumte, es falle eine Treppe hinunter
und demgemäß auf ſeinem Stuhle ein erſchrecktes
Geräuſch erhob, blickte der erzählende Pankrazius
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/113>, abgerufen am 12.12.2024.
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