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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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nicht aufgeben konnte, machten es mir unmöglich,
mich unter diese Affenschwänze zu mischen und
nur den kleinsten Schritt gegen Lydia zu thun.
Ich ward abermals konfus, ungeduldig, nahm
plötzlich meinen Abschied aus der indischen Armee
und machte mich davon, um heimzukehren und
die Unselige zu vergessen."

"So gelangte ich nach Paris und hielt mich
daselbst einige Wochen auf. Da ich eine große
Menge schöner und kluger Weiber sah, dachte ich,
es wäre das beste Mittel, meine unglückliche Ge¬
schichte los zu werden, in recht viel hübsche
Frauengesichter zu blicken, und ging daher von
Theater zu Theater, und an alle Orte, wo der¬
gleichen beisammen waren, ließ mich auch in ver¬
schiedene gute Häuser und Gesellschaften einführen.
Ich sah auch in der That viele tüchtige Gestalten
von edlem Schwung und Zuschnitt und in deren
Augen schöne Gedanken lagen, aber alles was ich
sah, führte mich nur auf Lydia zurück und diente
zu deren Gunsten. Sie war nicht zu vergessen
und ich war und blieb aufs Neue elend verliebt
in sie. Ich hatte das allerunheimlichste sonder¬
barste Gefühl, wenn ich an sie dachte. Es war

nicht aufgeben konnte, machten es mir unmöglich,
mich unter dieſe Affenſchwänze zu miſchen und
nur den kleinſten Schritt gegen Lydia zu thun.
Ich ward abermals konfus, ungeduldig, nahm
plötzlich meinen Abſchied aus der indiſchen Armee
und machte mich davon, um heimzukehren und
die Unſelige zu vergeſſen.«

»So gelangte ich nach Paris und hielt mich
daſelbſt einige Wochen auf. Da ich eine große
Menge ſchöner und kluger Weiber ſah, dachte ich,
es wäre das beſte Mittel, meine unglückliche Ge¬
ſchichte los zu werden, in recht viel hübſche
Frauengeſichter zu blicken, und ging daher von
Theater zu Theater, und an alle Orte, wo der¬
gleichen beiſammen waren, ließ mich auch in ver¬
ſchiedene gute Häuſer und Geſellſchaften einführen.
Ich ſah auch in der That viele tüchtige Geſtalten
von edlem Schwung und Zuſchnitt und in deren
Augen ſchöne Gedanken lagen, aber alles was ich
ſah, führte mich nur auf Lydia zurück und diente
zu deren Gunſten. Sie war nicht zu vergeſſen
und ich war und blieb aufs Neue elend verliebt
in ſie. Ich hatte das allerunheimlichſte ſonder¬
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[100/0112] nicht aufgeben konnte, machten es mir unmöglich, mich unter dieſe Affenſchwänze zu miſchen und nur den kleinſten Schritt gegen Lydia zu thun. Ich ward abermals konfus, ungeduldig, nahm plötzlich meinen Abſchied aus der indiſchen Armee und machte mich davon, um heimzukehren und die Unſelige zu vergeſſen.« »So gelangte ich nach Paris und hielt mich daſelbſt einige Wochen auf. Da ich eine große Menge ſchöner und kluger Weiber ſah, dachte ich, es wäre das beſte Mittel, meine unglückliche Ge¬ ſchichte los zu werden, in recht viel hübſche Frauengeſichter zu blicken, und ging daher von Theater zu Theater, und an alle Orte, wo der¬ gleichen beiſammen waren, ließ mich auch in ver¬ ſchiedene gute Häuſer und Geſellſchaften einführen. Ich ſah auch in der That viele tüchtige Geſtalten von edlem Schwung und Zuſchnitt und in deren Augen ſchöne Gedanken lagen, aber alles was ich ſah, führte mich nur auf Lydia zurück und diente zu deren Gunſten. Sie war nicht zu vergeſſen und ich war und blieb aufs Neue elend verliebt in ſie. Ich hatte das allerunheimlichſte ſonder¬ barſte Gefühl, wenn ich an ſie dachte. Es war

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/112>, abgerufen am 03.05.2024.