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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Glück beschieden sein mochte, jetzt für immer hinter
mir lasse, und daß es jetzt vorbei wäre mit mei¬
ner artigen Frömmigkeit in der Liebe.

"Das hast du nun von deinem unglückseligen
Schmollwesen!" sagte ich zu mir selbst, "hättest
du von Anbeginn zuweilen nur halb so lange
mit ihr freundlich gesprochen, so hätte es dir nicht
verborgen bleiben können, weß Geistes Kind sie
ist, und du hättest dich nicht so gröblich getäuscht!
Fahr hin und zerfließe denn, du schönes Luft¬
schloß!"

Als ich mich nun mit zerrissenen Gedanken
vom Gouverneur verabschiedete, sah mich derselbe
vergnüglich und verschmitzt an und blinzelte spöt¬
tisch mit den Augen. Ich merkte, daß er mir
meine Affaire ansah, überhaupt dieselbe von jeher
beobachtet hatte und eine Art von schadenfrohem
Spaß daran empfand. Da er sonst ein ganz
biederer und honetter Mann war, so konnte das
nichts anderes sein, als die einfältige Freude
aller Philister an grausamen und schlechten Bra¬
tenspäßen. Im vorigen Jahrhundert belustigten
sich große Herren daran, ihre Narren, Zwerge
und sonstigen Untergebenen betrunken zu machen

Glück beſchieden ſein mochte, jetzt für immer hinter
mir laſſe, und daß es jetzt vorbei wäre mit mei¬
ner artigen Frömmigkeit in der Liebe.

»Das haſt du nun von deinem unglückſeligen
Schmollweſen!« ſagte ich zu mir ſelbſt, »hätteſt
du von Anbeginn zuweilen nur halb ſo lange
mit ihr freundlich geſprochen, ſo hätte es dir nicht
verborgen bleiben können, weß Geiſtes Kind ſie
iſt, und du hätteſt dich nicht ſo gröblich getäuſcht!
Fahr hin und zerfließe denn, du ſchönes Luft¬
ſchloß!«

Als ich mich nun mit zerriſſenen Gedanken
vom Gouverneur verabſchiedete, ſah mich derſelbe
vergnüglich und verſchmitzt an und blinzelte ſpöt¬
tiſch mit den Augen. Ich merkte, daß er mir
meine Affaire anſah, überhaupt dieſelbe von jeher
beobachtet hatte und eine Art von ſchadenfrohem
Spaß daran empfand. Da er ſonſt ein ganz
biederer und honetter Mann war, ſo konnte das
nichts anderes ſein, als die einfältige Freude
aller Philiſter an grauſamen und ſchlechten Bra¬
tenſpäßen. Im vorigen Jahrhundert beluſtigten
ſich große Herren daran, ihre Narren, Zwerge
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[91/0103] Glück beſchieden ſein mochte, jetzt für immer hinter mir laſſe, und daß es jetzt vorbei wäre mit mei¬ ner artigen Frömmigkeit in der Liebe. »Das haſt du nun von deinem unglückſeligen Schmollweſen!« ſagte ich zu mir ſelbſt, »hätteſt du von Anbeginn zuweilen nur halb ſo lange mit ihr freundlich geſprochen, ſo hätte es dir nicht verborgen bleiben können, weß Geiſtes Kind ſie iſt, und du hätteſt dich nicht ſo gröblich getäuſcht! Fahr hin und zerfließe denn, du ſchönes Luft¬ ſchloß!« Als ich mich nun mit zerriſſenen Gedanken vom Gouverneur verabſchiedete, ſah mich derſelbe vergnüglich und verſchmitzt an und blinzelte ſpöt¬ tiſch mit den Augen. Ich merkte, daß er mir meine Affaire anſah, überhaupt dieſelbe von jeher beobachtet hatte und eine Art von ſchadenfrohem Spaß daran empfand. Da er ſonſt ein ganz biederer und honetter Mann war, ſo konnte das nichts anderes ſein, als die einfältige Freude aller Philiſter an grauſamen und ſchlechten Bra¬ tenſpäßen. Im vorigen Jahrhundert beluſtigten ſich große Herren daran, ihre Narren, Zwerge und ſonſtigen Untergebenen betrunken zu machen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/103>, abgerufen am 04.05.2024.