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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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grundlose, so persönlich scheinende Schönheit quälte
mein Herz in die Wette mit dem Wortwechsel,
den wir führten. Als sie aber zuletzt ganz sinn¬
lose und unverschämte Dinge sagte, rief ich, in
bittere Thränen ausbrechend: "O Fräulein!
Sie sind ja der größte Esel, den ich je gesehen
habe!"

Sie schüttelte heftig die Wucht ihrer Locken
und sah bleich und erstaunt zu mir auf, wobei
ein wilder schiefer Zug um ihren sonst so schönen
Mund schwebte. Es sollte wohl ein höhnisches
Lächeln sein, ward aber zu einem Zeichen selt¬
samer Verlegenheit.

"Ja," sagte ich, mit den Fäusten meine Thrä¬
nen zerreibend, "nur wir Männer können sonst
Esel sein, dies ist unser Vorrecht, und wenn ich
Sie auch so nenne, so ist es noch eine Art Aus¬
zeichnung und Ehre für Sie. Wären Sie nur
ein Bischen gewöhnlicher und geringer, so würde
ich Sie einfach eine schlechte Gans schelten!"

Mit diesen Worten wandte ich mich endlich
von ihr ab und ging, ohne ferner nach ihr hin¬
zublicken, aber mit dem Gefühle, daß ich das,
was mir jemals in meinem Leben von reinem

grundloſe, ſo perſönlich ſcheinende Schönheit quälte
mein Herz in die Wette mit dem Wortwechſel,
den wir führten. Als ſie aber zuletzt ganz ſinn¬
loſe und unverſchämte Dinge ſagte, rief ich, in
bittere Thränen ausbrechend: »O Fräulein!
Sie ſind ja der größte Eſel, den ich je geſehen
habe!«

Sie ſchüttelte heftig die Wucht ihrer Locken
und ſah bleich und erſtaunt zu mir auf, wobei
ein wilder ſchiefer Zug um ihren ſonſt ſo ſchönen
Mund ſchwebte. Es ſollte wohl ein höhniſches
Lächeln ſein, ward aber zu einem Zeichen ſelt¬
ſamer Verlegenheit.

»Ja,« ſagte ich, mit den Fäuſten meine Thrä¬
nen zerreibend, »nur wir Männer können ſonſt
Eſel ſein, dies iſt unſer Vorrecht, und wenn ich
Sie auch ſo nenne, ſo iſt es noch eine Art Aus¬
zeichnung und Ehre für Sie. Wären Sie nur
ein Bischen gewöhnlicher und geringer, ſo würde
ich Sie einfach eine ſchlechte Gans ſchelten!«

Mit dieſen Worten wandte ich mich endlich
von ihr ab und ging, ohne ferner nach ihr hin¬
zublicken, aber mit dem Gefühle, daß ich das,
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[90/0102] grundloſe, ſo perſönlich ſcheinende Schönheit quälte mein Herz in die Wette mit dem Wortwechſel, den wir führten. Als ſie aber zuletzt ganz ſinn¬ loſe und unverſchämte Dinge ſagte, rief ich, in bittere Thränen ausbrechend: »O Fräulein! Sie ſind ja der größte Eſel, den ich je geſehen habe!« Sie ſchüttelte heftig die Wucht ihrer Locken und ſah bleich und erſtaunt zu mir auf, wobei ein wilder ſchiefer Zug um ihren ſonſt ſo ſchönen Mund ſchwebte. Es ſollte wohl ein höhniſches Lächeln ſein, ward aber zu einem Zeichen ſelt¬ ſamer Verlegenheit. »Ja,« ſagte ich, mit den Fäuſten meine Thrä¬ nen zerreibend, »nur wir Männer können ſonſt Eſel ſein, dies iſt unſer Vorrecht, und wenn ich Sie auch ſo nenne, ſo iſt es noch eine Art Aus¬ zeichnung und Ehre für Sie. Wären Sie nur ein Bischen gewöhnlicher und geringer, ſo würde ich Sie einfach eine ſchlechte Gans ſchelten!« Mit dieſen Worten wandte ich mich endlich von ihr ab und ging, ohne ferner nach ihr hin¬ zublicken, aber mit dem Gefühle, daß ich das, was mir jemals in meinem Leben von reinem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/102>, abgerufen am 03.05.2024.