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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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noch nicht auf eine etwas bescheidenere Art zu¬
wege gebracht?" "Ja, mit Ihrer Erlaubniß,"
erwiederte er, froh wieder angeredet zu werden,
"ich erblicke Sie jetzt nur dreimal um mich her,
freundlich aber anständig mich anschauend und
mir drei weiße Hände bietend, welche ich küsse!"

"Gut denn!" sagte Züs "und Sie Frido¬
lin? sind Sie noch nicht von Ihrer Abirrung
zurückgekehrt? Kann sich Ihr ungestümes Blut
noch nicht zu einer wohlanständigen Vorstellung
beruhigen?" "Um Vergebung!" sagte Fridolin
kleinlaut, "ich glaube jetzt drei Jungfern zu sehen,
die mir gedörrte Birnen anbieten und mir nicht
abgeneigt scheinen. Es ist keine schöner, als die
andere, und die Wahl unter ihnen scheint mir
ein bitteres Kraut zu sein!"

"Nun also," sprach Züs, "da ihr in euerer
Einbildungskraft von neun solchen ganz gleich
werthen Personen umgeben seid und in diesem
liebreizenden Überflusse dennoch Mangel in euerem
Herzen leidet, ermesset danach meinen eigenen
Zustand; und wie ihr an mir sahet, daß ich
mich weisen und bescheidenen Herzens zu fassen
weiß, so nehmet doch ein Beispiel an meiner

noch nicht auf eine etwas beſcheidenere Art zu¬
wege gebracht?« »Ja, mit Ihrer Erlaubniß,«
erwiederte er, froh wieder angeredet zu werden,
»ich erblicke Sie jetzt nur dreimal um mich her,
freundlich aber anſtändig mich anſchauend und
mir drei weiße Hände bietend, welche ich küſſe!«

»Gut denn!« ſagte Züs »und Sie Frido¬
lin? ſind Sie noch nicht von Ihrer Abirrung
zurückgekehrt? Kann ſich Ihr ungeſtümes Blut
noch nicht zu einer wohlanſtändigen Vorſtellung
beruhigen?« »Um Vergebung!« ſagte Fridolin
kleinlaut, »ich glaube jetzt drei Jungfern zu ſehen,
die mir gedörrte Birnen anbieten und mir nicht
abgeneigt ſcheinen. Es iſt keine ſchöner, als die
andere, und die Wahl unter ihnen ſcheint mir
ein bitteres Kraut zu ſein!«

»Nun alſo,« ſprach Züs, »da ihr in euerer
Einbildungskraft von neun ſolchen ganz gleich
werthen Perſonen umgeben ſeid und in dieſem
liebreizenden Überfluſſe dennoch Mangel in euerem
Herzen leidet, ermeſſet danach meinen eigenen
Zuſtand; und wie ihr an mir ſahet, daß ich
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[422/0434] noch nicht auf eine etwas beſcheidenere Art zu¬ wege gebracht?« »Ja, mit Ihrer Erlaubniß,« erwiederte er, froh wieder angeredet zu werden, »ich erblicke Sie jetzt nur dreimal um mich her, freundlich aber anſtändig mich anſchauend und mir drei weiße Hände bietend, welche ich küſſe!« »Gut denn!« ſagte Züs »und Sie Frido¬ lin? ſind Sie noch nicht von Ihrer Abirrung zurückgekehrt? Kann ſich Ihr ungeſtümes Blut noch nicht zu einer wohlanſtändigen Vorſtellung beruhigen?« »Um Vergebung!« ſagte Fridolin kleinlaut, »ich glaube jetzt drei Jungfern zu ſehen, die mir gedörrte Birnen anbieten und mir nicht abgeneigt ſcheinen. Es iſt keine ſchöner, als die andere, und die Wahl unter ihnen ſcheint mir ein bitteres Kraut zu ſein!« »Nun alſo,« ſprach Züs, »da ihr in euerer Einbildungskraft von neun ſolchen ganz gleich werthen Perſonen umgeben ſeid und in dieſem liebreizenden Überfluſſe dennoch Mangel in euerem Herzen leidet, ermeſſet danach meinen eigenen Zuſtand; und wie ihr an mir ſahet, daß ich mich weiſen und beſcheidenen Herzens zu faſſen weiß, ſo nehmet doch ein Beiſpiel an meiner

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/434>, abgerufen am 26.11.2024.